
Ein Kessel Schwarzes – was genau mochte das wohl sein? Als in der DDR geborenes Kind kannte ich natürlich den Kessel Buntes aus dem Fernsehen – eine abendfüllenden Show mit vielerlei Unterhaltungsbeiträgen und einer Mischung aus Show, Musik, Comedy und vielem mehr. Mit Luci van Org, Christian von Aster und Oswald Henke gab es nun eben die Variante Ein Kessel Schwarzes und am 25.01.2025 lud das Trio auf die Burg Ranis im schönen Thüringen ein. Wir waren sehr gespannt auf das Ganze, dass als „Kabarett der seelischen Essenzen“ angekündigt wurde. Das mussten wir uns anschauen.
Vor Ort angekommen liefen wir zu der kleinen Burg hoch und fanden uns in einem der Säle ein, der für diese Veranstaltung eingerichtet worden war. Im Nebenraum konnten, wer wollte, Getränke und Knabbereien oder auch Merchandise oder Bücher der Mitwirkenden erstehen. Wir begrüßten freudig alle Freunde und Bekannten, die ebenfalls dabei sein wollten und nahmen Platz. Kurz vor Beginn waren alle Stühle besetzt – es war nämlich ein ausverkaufter Abend.
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Veranstalter konnte es auch schon losgehen – „Guten Abend. Wir sind Christian von Aster, Luci van Org und Oswald Henke mit Ein Kessel Schwarzes“. Christian umriss kurz das Konzept des Abends – das Programm, das sie mitgebracht hatten, war schon Teil 2 der gemeinsamen Reise und stand unter dem Motto „Familiengericht“. Es wurde inhaltlich also um Familiäres und Rechtliches gehen – „Das muss auch nicht schön werden“.
Als Einstieg interpretierten sie „einen pädagogischen Klassiker“ von Heinrich Hoffmann neu – den „Zappelphilipp“ gab hier Oswald, der mit dem Stuhl kippelte und dann, mit entsprechenden Schutzmaßnahmen versehen, in Form eines Fahrradhelmes und eines Fallkissens – „wir haben nur einen Oswald“ - den Tisch samt Tischtuch abräumte. Das sorgte für viele Lacher.
Dann wurde kurz umgeräumt, denn nun bekam jeder der drei Agierenden Zeit allein auf der kleinen Bühne. Dabei wurden ein paar rechtliche Fakten gestreut – wie etwa, dass „geschlechtsspezifische Gewalt“ erst 2024 vom Europäischen Gerichtshof als Asylgrund anerkannt wurde. Oswald übernahm dann das Ruder – er sei nämlich dafür verantwortlich, die Anwesenden „auf den Boden zu holen“. Er erzählte einige Geschichte über die Profession des Scharfrichters – im Mittelalter und in der Neuzeit. Früher haben die Scharfrichter das meiste Geld damit gemacht, Körperteile und Körperflüssigkeiten der Hingerichteten als Heilmittel zu verkaufen. Sie haben aber nicht nur vom Leben in den Tod befördert, sondern auch gefoltert – hatten sie doch sehr gute Anatomiekenntnisse. In der Neuzeit haben Scharfrichter in China besonders „organschonende“ Hinrichtungsmethoden entwickelt, so dass die Organe der Getöteten als Spende an Bedürftige gehen konnten – es entstand so ein regelrechter Organhandel. „Wir leben ja in einer Utopie“. Oswald hatte auch eigene Texte dabei – in „Fleisch Schuld“ ging es um eine Gesellschaftsform, wo eine Schuld nur durch Selbstverstümmelung gesühnt werden konnte. „Wie weit entfernt diese Utopie wohl ist?“ Dieser Gedanke war echt gruselig.
Da kam es gerade recht, dass Luci auf der Bildfläche erschien – „erleichtern Sie“. Sie griff zur Gitarre und verriet, dass im letzten Jahr häusliche Gewalt um 20% in Deutschland gestiegen sei. Dann präsentierte sie ihren neuen Song „Somnio“ ihres aktuellen Projektes Lucina Soteria, den sie einst Putin gewidmet hat. Wichtig war dabei die Textzeile „I’m dreaming you to death“. Ihre kraftvolle Stimme war wieder einmal absolut beeindruckend und sorgte für viel Beifall.
Um „Ihr Gemüt aufzuhellen“ kam dann Christian nach vorn und berichtete von Johann Reichhart, einem Scharfrichter aus Bayern, der im Dritten Reich einst 3165 Hinrichtungen leitete und als „Vollprofi“ auch noch nach Kriegsende für die Alliierten tätig war. Um einen anderen Scharfrichter ging es schließlich in seinem Gedicht „Der Tag, an dem man den Narren hängte“. Kleiner Spoiler – der Narr ist am Ende nicht der gewesen, der am Galgen baumelte. Wir haben hier sehr gekichert und dieses gereimte Werk war an dieser Stelle genau richtig, um die Stimmung im Saal zu heben. Das schaffte auch noch die Story über einen Vorsteher eine britischen Gemeinde, der über Hexenbeschuldigungen entscheiden musste und sich dazu mit seinem Kürbis beriet. Oder auch der Narr, der unter der Folter nach mehr Leiden verlangte. „Die Absurdität des Rechts hat etwas Unterhaltsames“.
Schließlich fanden sich alle drei Protagonisten des Abends am „Tisch der Wahrheit“ zusammen. Hier verrieten sie allesamt etwas Persönliches zum Hauptthema der Veranstaltung. Oswald berichtete davon, dass er schon als Kind „keine Ungerechtigkeit“ mochte und so einst den 2-jährigen Bruder anschwärzte, der einen Lolli im Supermarkt geklaut hatte und die Mutter darüber hinweggehen wollte – am Ende bezahlte sie ihn dann doch. „Der Sinn und Gerechtigkeit fehlt heute vor allem Präsidenten und Politikern“. Für diese Aussage gab es Szenenapplaus. Luci erzählte von ihrem gewalttätigen Bruder, den sie einst angezeigt hat, die Polizei aber nicht half – das war „ganz furchtbar“. In diesem Moment mussten wir stark an uns halten, nicht auf die Bühne zu stürmen und sie in den Arm zu nehmen. Christian war auch noch an der Reihe, etwas Persönliches preiszugeben. Er richtete „den Scheinwerfer auf einen dunklen Teil“ seiner Vergangenheit. Er war einst als Kind in ein Schullandheim geschickt worden von seinen Eltern, was echt nicht toll war. Hatte er doch mal gelernt, dass die Nase nicht wächst, wenn gelogen wurde – „also durfte man lügen“. Ihm hat diese Erkenntnis aber nicht immer Gutes beschert. Mit dem Zitat „Macht bekommt nur dort Recht, wo Recht keine Macht hat“ beschlossen sie den persönlichen Teil fürs Erste.
Luci übernahm noch einmal das Ruder und las einen Ausschnitt aus ihrem Buch „Wir Fünf und ich und die Toten“ – einem teilbiografischen Werk. Die Hauptfigur Vera berichtete hier von ihren Erfahrungen mit einer freievangelikalen Gruppe, wo sie als 15-jährige „Heilung“ suchte – sie wollte ihre Ticks los werden - was natürlich nicht so recht klappte. Das schaffte sie später nur ganz allein.
Die beiden Herren gesellten sich wieder zu Luci. Christian meinte, nachdem wir nun alle erst einmal genug „achterbahnisiert“ seien, wäre es Zeit, dass sie ein populäres Lied, was auch zum Thema passte, singen sollten. Die „Hymne der Exekutive“ begeisterte das Publikum absolut, denn zu Falcos Klassiker „Der Kommissar“ trugen Oswald und Christian ganz cool eine Sonnenbrille und Luci begleitete das Stück auf der Gitarre. „Bitte nicht mitklatschen! Ihr könnt das nicht.“ Absolut großartig. Der Beifall brandete dann nach dem letzten Ton auf und da zeigte sich, dass die Anwesenden es eben doch konnten.
An dieser Stelle wurde das Programm für eine halbstündige Pause unterbrochen – zum Durchatmen, Erfrischen und Beine vertreten. Das kam genau richtig, denn nach all den schweren Fakten war Durchschnaufen schon ganz gut. Die Mischung aus harten Fakten und auflockernden Momenten mit viel Humor und Augenzwinkern gefiel uns echt gut.
Nach der Pause ging es dann weiter mit dem „Familie“-Teil des Programmes. „Wenn Sie glauben, Sie hätten den schlimmsten Teil schon hinter sich – Irrtum“, so Christian mit einem Zwinkern. Oswald übernahm wieder als erstes und skandierte, „man sollte Mütter mehr wertschätzen“. Dem Satz wurde mit Beifall zugestimmt. Er trug ein Gedicht vor, das er einst für seine eigene Mama geschrieben hatte – „Orangenschiffchen“ handelt einer seiner liebsten Kindheitserinnerungen, als seine Mutter Orangen schälte und für ihn kleine Schiffchen daraus baute. Alle anwesenden Mütter sollten sich hierbei melden – ihnen wurde ein eben solches Orangenschiffchen als Geschenk dargereicht – eine absolut süße Idee – im wahrsten Sinne des Wortes.
Danach übernahm wieder Christian am Mikrofon. Er erzählte davon, dass das Wort Familie als „zwei Personen unterschiedlicher Generation“ definiert wurde. Es bezog also auch Alleinerziehende mit ein. Und gerade in dieser Form der Familie sei die Armutsgefahr sehr hoch. Er berichtete davon, dass Familien der beste Ort seien um „Werteentwicklung und Prinzipien“ kennenzulernen. Recht hat er! Um diese Aussage zu untermauern, las er uns den Anfang seines Buches „Der Nichtnutz – eine Geschichte über Dinge, Sachen und Zeug“ vor. Dieses Buch konnte jeder, der wollte, an diesem Abend noch kostenlos mit nach Hause nehmen, denn Verlage wollten dieses Werk, was mittlerweile als Lehrmaterial von Schulen genutzt wird, nicht auflegen. Eine weitere Geschichte aus seiner Feder folgte – „Heiligabend bei einer eigens dafür trainierten Familie“. Der gereimte Text, in dem der „Weihnachts-Dreikampf“ beschrieben wurde, war sehr großartig und so lustig, dass wir aus dem Grinsen nicht rauskamen.
Danach kam wieder die Dame des Trios an die Reihe. Sie verriet, dass 2023 die meisten Kinder in Deutschland nicht durch Krebs oder Unfälle starben, sondern durch Suizid. Da mussten einige im Publikum ganz schön schlucken. Luci hatte noch einen weiteren kleinen Ausschnitt aus ihrem Buch für uns vorbereitet. Vera traf hier auf ihre Eltern und ihren Bruder – alle schon tot. „Familie ist doch das Wichtigste.“ Diese surreale Begegnung, in der es um Schuldgefühle ging, war echt krass.
Die „Senioren-WG“ Ein Kessel Schwarzes fand sich dann wieder zusammen und Oswald, der immer wieder versuchte mit seiner Rassel Krach zu machen – ein echter Running-Gag des Abends – rief dann einen weiteren Tisch der Wahrheit aus. Christian, der durch den Erbadel eines seiner Vorfahren eben den Namen von Aster erhalten hatte, war „ein sehr unverstandenes Kind“. Er hatte sich mit 12 bereits eine „Wahlfamilie“ bei Filmemachern gesucht, die ihn in seiner beruflichen Laufbahn geprägt haben. „Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben.“ Oswald verstand als Kind das Konzept der „Kinderverschickung“ nicht. Dabei wurden Kids für sechs Wochen mit dem Zug verschickt und blieben da bei wildfremden Leuten für eine Art Kur. Dabei kam es dann nicht selten zu Misshandlungen – seelischer und auch körperlicher, weil die Betreuer*innen ihre Macht einfach ausspielten. Er selbst mochte diese Verschickung gar nicht, weil er immer zusätzliche Portionen essen musste, die absolut eklig waren. Luci beschloss den Wahrheitsreigen mit einem Bericht über ihre Wahlfamilie. Ihre eigene Familie wuchs dann am Tag des Todes ihrer Mutter wieder, weil lang nicht gesehene Familienmitglieder wieder in ihr Leben traten und sich der Kontakt so wieder aufbaute – „so war der Tod meiner Mutter ein großer Freudentag – aus vielen Gründen“.
Oswald bekam noch einmal Einzelzeit, wo er uns ein Gedicht über seine Großmutter vortrug, an die er nur „wunderbare Erinnerungen“ hatte. Das Werk „An jedem Haar“ hatte er für ihre Beerdigung geschrieben. Danach las er uns ein Kapitel aus seinem „Erziehungsratgeber“ vor, in dem er Methoden aufgeschrieben hatte, die „garantiert nie erprobt und garantiert menschenverachtend“ waren. Er hatte das Buch verfasst, da er selbst keine Kinder besaß, aber den folgenden Generationen auch etwas mit auf den Weg geben wollte – das Ganze selbstverständlich mit einem gewissen Augenzwinkern und viel schwarzem Humor. Das Kapitel über die Bestrafung war auch sehr heftig und wenn er Aussagen wie „Kinder sind biegsam und formbar“ ernst meinen würde, würden wir echt Angst vor ihm bekommen. Schließlich haben Kinder seit 2001 das Recht auf gewaltfreie Erziehung, wie Oswald noch verriet. In den USA sei Schwarze Pädagogik in einigen Landesteilen aber immer noch an der Tagesordnung.
Damit wir den Abend nicht mit dieser gewissen Schwere beendeten, hatten die drei noch ein Lied für uns in petto. „Mein Name ist Mensch“, im Original von Ton Steine Scherben, war noch einmal ein Highlight und kam super an. Am Ende wurde das Trio mit Standing Ovations belohnt – „Vielen Dank – ihr wart ein Publikum“, so die Verabschiedung von Christian.
Mit viel Dank und Verbeugungen, wo sie mehrfach die Plätze tauschten, ging dieser abwechslungsreiche Abend zu Ende. Im Anschluss standen die drei noch für Gespräche und Fotos zur Verfügung und nicht wenige Zuschauer kauften sich eines der Bücher und ließen es gleich signieren. Wir verabschiedeten uns von allen Bekannten und machten uns wieder auf den Heimweg. Ein Dank an dieser Stelle an die Veranstalter und natürlich an Luci van Org, Oswald Henke und Christian von Aster. Das war mal etwas ganz Besonderes! Wie schon gesagt – der Mix aus Schock und Auflockerung war genau richtig, auch wenn nicht alle das so sahen, denn nach der Pause fehlten einige Zuschauer in der ersten Reihe. Aber dem Rest hatte es super gefallen. Wenn der Kessel Schwarzes einmal in eurer Nähe Station machen sollte – geht da unbedingt hin. Es lohnt sich auf gleich mehreren Ebenen!!!
Autor: Trixi
Galerie des Abends