
Wir kamen am zweiten Festivaltag etwas später am Gelände an und los ging es dann direkt an der Parkbühne.
Als erstes holten It’s for us aus Schweden, die ihren Gig etwas verspätet starten mussten, uns ab. Der Postpunk-Sound war weich, melodisch, aber mit leichter Melancholie: ideal, um sich warmzutanzen, um sich auf den Tag einzulassen. Hier erklangen Lieder wie „Radiant“ oder „Stay“ und die Menge feierte diesen Gig. Unser Ding war das aber nicht so ganz und so schlenderten wir schnell weiter und begrüßten liebe Bekannte für ein erstes Gespräch in den Tag.
Mit Circus of Fools auf der Amphibühne öffnete sich dann eine theatralische Ebene. Anne meinte, dass hier die „Clowns frei gelassen“ würden und die „Bühne zur Manege“ wird. Wir waren gespannt. Die Musiker hatten allesamt ein Gruse-Clown-MakeUp und auch die Outfits waren daran angelehnt – echt schick. Klangkulissen, variierende Tempi, Performance-Elemente – das war mal was ganz anderes, denn Metal-Sounds gibt es nicht so oft in Deutzen. „Hallo Deutzen – wir freuen uns mordsmäßig hier zu sein.“ Frontfrau Tammy war absolut präsent und zeigte, dass eine Frau nicht nur klar singen kann, sondern auch mit Growlen und Kreischen zu begeistern weiß. Das war schon krass, was sie für Geräusche hervorbrachte – das ließ wirklich viele im Publikum staunen. Dabei interagierte sie immer wieder mit ihren Kollegen Tim, Dominik, Coen Simon und Yannick. Es wurde wild gerockt und die Menge vor der Stage ließ sich nach und nach immer mehr auf die „Zirkusmenschen“ ein. Haare flogen und ein kleiner Fan im Bandoutfit und mit „Axt“ in der Hand ging richtig ab. Wir hatten daran echt Freude – eine Band mit einem klaren Konzept, das durchgezogen wird und auch noch klasse Mucke auf die Bühne bringt. Was wollten wir noch mehr?!
Die Waldbühne lockte im Anschluss mit einem Quartett der Extraklasse – Eklipse sollten hier ihr Können auf den Streichinstrumenten zeigen. Die „Schattenflüchter“ standen schon bereit und nicht wenige Zuschauer trauten sich auch in die Sonne, die an diesem Tag vom Himmel brannte. Felicitas, Maline, Ida und Linda hatten für uns „ganz neue Juwelen“ im Gepäck. Mit Jubel wurden sie begrüßt und ihren Outfits, die alle goldene Elemente enthielten, sahen sie echt schick aus. Der Bass kam vom Band und dann setzten die vier ein – „Fallen leaves“ von Billy Talent machte den Anfang. Ihre Versionen berühmter Songs sind immer etwas ganz Besonderes und eröffnen den Tracks ganz neue Sphären – wirklich toll – „ein bunter Blumenstrauß“. Die vier interagierten miteinander – das war schön anzusehen. Und dabei hatten sie immer ein Lächeln im Gesicht. Weitere Hits waren hier „Radioactive“ von Imagine Dragons, „Bad Guy“ von Billie Eilish, „Toxic“ von Britney Spears oder „Chop Suey“ von System Of A Down. Aber auch eigene Songs wie „Higher“, der an diesem Tag Weltpremiere feierte, waren im Set enthalten. Das war wieder einmal ein Juwel der kulturellen Darbietung – anders und unbedingt hörens- und sehenswert!
Als nächstes waren Angels & Agony auf der Amphibühne an der Reihe. Das Duo aus den Niederlanden, das „seit 30 Jahren“ auf den Bühnen der Welt unterwegs ist, brachte an diesem Tag das große Gefühl und „Tekknopop“ mit. Wir sahen Menschen, die erst starr und still zuhörten und dann ganz schnell ins Mitwippen und Abtanzen kamen. Die Hände, die sich erhoben und Stimmen, die einstimmten – bei den Hits wurde selbstverständlich mitgesungen. Ein kraftvoller Höhepunkt für viele Zuschauer – es war echt voll auf den Rängen. Frontmann Reinier und Kollege Marko waren gut drauf, mit viel Gestik und kraftvollem sowie zweistimmigem Gesang zogen sie ihre Fans in den Bann. Dabei gaben sie in der prallen Sonne wirklich alles. Es wurde getanzt und gemeinsam gefeiert – Respekt! Im Hintergrund liefen Videos der Tracks mit – wie etwa zu „Horizon“, „Division“ oder auch „Wreckage“ und „Stronghold“. Auch Musiker anderer Bands, die an diesem Tag noch ihren Auftritt vor sich hatten, schauten zu und hatten ihre Freude an den Sounds. Das ist doch mal ein Kompliment, oder nicht?!
Nach diesem großen Moment machten die Jungs von Machinista aus Schweden direkt dort weiter, wo wir eben noch aufgehört hatten. Es gab Elektro- und Dance-Rhythmen auf die Ohren - ein Klang, der kompakt war und direkt. Zum ersten Mal war hier Drummer Andreas mit an Bord und komplettierte den Livesound mit seinen Beats. Der zweistimmige Gesang von Frontmann John und Keyboarder Richard war großartig und schnell wurde vor der Bühne zu Songs wie „Stranger“ oder „Molecules and Carbon“ abgetanzt. Die Arme der Fans waren oben und klatschten im Takt mit. John stand kaum einen Moment still und lief hin und her. „Thanks for showing up“. Schnell zog er seine Jacke aus, denn es war warm in der Sonne und so konnte er auch besser zu den eigenen Klängen tanzen und Spaß haben. Der Spaß war ihnen anzusehen und das „something‘s new in the band“ musste doch ordentlich abgefeiert und genossen werden.
Wir mussten uns dann aber schnell lösen, denn zeitgleich las der grandiose Christian von Aster auf der Lesebühne. Dieser literarische Einschub war genau das Richtige zum Durchschnaufen und Runterkommen zwischendurch. Der Leipziger Autor brachte das Zwischenreich ins Festival. Seine Texte waren Zwiegespräche in Gedichtform - kleine Schattenlandschaften – wie etwa der Text, der von einer Hinrichtung erzählte. Er hatte auch Texte über Depressionen dabei – ein Werk, das nach seiner Aussage, vielen Lesern geholfen hat, eigene Tiefen zu durchleben. Einst hatte er ihn geschrieben, als er „mehr Traurigkeit als Platz dafür hatte“. Auch hat er „kleine Depressionen“ gemalt und daraus ein Memory-Spiel entwickelt - als eine Art Selbsttherapie. „Ich wollte etwas Positives aus dem machen, was mich fast kaputt gemacht hat. Klingt komisch – ist aber so.“ Ein solches Spiel wurde dann auch noch für einen guten Zweck versteigert. Der Erlös ging an die Leipziger Depressionshilfe – schöner Move. Die Gedichte an diesem Tag waren allesamt kleine Juwelen und ließen die Zuhörer ausnahmslos beseelt zurück. Der Applaus am Ende war mehr als verdient.
Anne kündigte die nächste Band an – dabei meinte sie, dass das kommende Duo „den angestaubten Industrial modernisieren“ wölle. Formalin aus Berlin spielte mit Dissonanzen, mit harten Texturen und mit Klangfragmenten. Die Geräusche wurden immer schärfer, die Strukturen industrieller, die Atmosphäre dichter. Sänger Tom war wild entschlossen, jeden Zuschauer in Bewegung zu versetzen. Sein Kollege Gabor gab mit den Sounds auch sein Bestes – und was sollen wir sagen? Mit „Above the sun“, „Tied and blinded“ oder auch „Salvation“ klappte es ganz gut. „Guten Tag, Deutzen“, so die knappe Begrüßung. Mit einem Effektgerät ließ Tom immer wieder krasse Soundeffekte erklingen und verausgabte sich regelrecht. Die Jacke flog irgendwann in die Ecke und er legte noch mehr Energie in seine Performance. Dabei wickelte er ab und zu das lange Mikrofonkabel um seinen Körper. Dass er sich dabei nicht verhedderte, war echt ein Wunder. Die dicken Bässe dröhnten nur so aus den Boxen und Gabor haute in die Tasten. Es war schon krass, wie nur zwei Herren für Stimmung sorgen konnten. Und als „Yuppiescum“ erklang, gab es auch für den letzten im Auditorium kein Halten mehr – da war Tanzen Pflicht. Coole Nummer!
Dann führte uns der Gang wieder an die kleine Lesebühne. Markus Heitz trat mit seiner spezieller Erzählerpräsenz auf. Er hatte seine „Schwarze Königin 2“ im Gepäck – ein Buch über Barbara von Cilli – einer angeblichen Vampirin, die es wirklich mal gegeben hat. Für Zuhörer, die ihn vielleicht nicht kannten, erklärte der Autor kurz, dass seine Lesungen immer wie ein „Kinotrailer“ seien – er teasert kurze Texte an und stoppt an spannenden Stellen, um neugierig zu machen. Was er dann auch mit einem Ausschnitt aus besagtem Buch bewies – werden die Protagonisten den Bombenfund und das tödliche Gas in der Höhle überleben? Das kann nur durch das Lesen des Romans geklärt werden. Außerdem hatte Markus an diesem Tag sein Buch „Vampire, Vampire!“ dabei, in dem es um den Volksglauben in Bezug auf die Blutsauger geht und wie Mann oder Frau dazu werden können. Er verriet kurz, dass „100% aller auf dem NCN“ zum Vampir werden müssten, wenn der Volksglauben stimmt. Na, das waren ja gute Aussichten.
Wir könnten dem Autor immer stundenlang zuhören, doch es ging weiter im Programm. Und so ging es zu Heimataerde auf der Waldbühne. Gemäß Moderatorin Manja meinte, die Band „nimmt sich selbst nicht so ernst“ und bezeichnet sich als „marodierende Kreuzritter“. Frontmann Ashlar kam mit einem Schild nach vor und Gitarristin Johanna hatte eine Axt bei. Alle waren sie in Rüstung gewandet und blutbeschmiert. Dann ging es musikalisch direkt in die Vollen mit „Kadavergehorsam“. „Hallo NCN – schön, dass wir wieder hier sein dürfen.“ Der Beat zu „Dark Dance“ war gut und das Publikum ließ sich auf die untoten Ritter ein, die Klangbombast, Theatralik mit mittelalterlichen Einschlägen und martialischen Momenten mit Inbrunst darboten. Blut floss Ashlar aus dem Mund, als er eben dies aus einem goldenen Kelch getrunken hatte bei „König von Thule“. Jacques sang die zweite Stimme und heizte auf den Saiten richtig ein. Es wurde bei fast jedem Track mitgeklatscht, was den Musikern gefiel. So auch bei „Der Verfall“ oder „Schwesterlein“. Auch der neue Song „Dunkle Träume“ vom kommenden Album oder „Hick Hack Hackebeil“ durften an diesem Tag nicht fehlen. Es blieb kein Fanwunsch offen. Wir freuten uns, diese Formation endlich mal wieder live miterleben zu können – es ist immer wieder eine Freude. Es war viel zu lange her.
Die nächste Formation war ein echter Überraschungscoup: Right Said Fred auf dem NCN! Anne begrüßte die „Glitzer Fans“ und forderte alle dazu auf „über den Tellerrand hinaus“ zu schauen. Sofort war das Eis gebrochen – Pop, Spaß, Melodie und viel Jubel. Einige sangen bei Songs wie „Love Song“ mit, andere tanzten und viele lächelten. Für einen Moment wurde der Abend “leicht” – und das war gut. Fred und Richard wurden von einer Sängerin unterstützt, die mit ihrer kraftvollen Stimme und dem fröhlichen Lächeln eine großartige Bereicherung war. Im Hintergrund liefen die Videos der Lieder mit. Die ersten Tracks gingen ineinander über und ließen keine Verschnaufpause zu. Es gab nicht nur eigene Songs wie „Don’t talk, just kiss“ oder „You’re my mate“ auf die Ohren – auch Cover von The Blooodhound Gang oder The Beloved waren Bestandteil des Sets. Im Fanblock war eine Regenbogenfahne zu sehen, die von Richard mit einem Lächeln registriert wurde. Es wirkte augenzwinkernd, aber nicht seltsam: eine Reminiszenz an die 1990er Jahre, eine Auszeit zum Erinnern und Schmunzeln. Das hatte echt was für sich.
Mit Kite kehrte hiernach die Intensität auf die kleine Parkbühne zurück – aber mit Eleganz. Viele Fans wollten diesen Gig sehen, so dass es schnell sehr voll und extrem eng wurde. Nicht alle konnten etwas sehen, aber hören umso mehr. Die Show des schwedischen Duos war audiovisuell durchdacht und der Sound wie immer klug arrangiert. Synthie-Wellen fluteten, Vokalspuren tanzten darüber, Laser-Projektionen verwoben sich mit dem Klang. In der Dämmerung wirkte das besonders stark: Licht als Schatten, Klang als Raumgestaltung. Hier war nicht nur einmal Gänsehaut angesagt – Niklas‘ Stimme und Christians Soundteppich sorgten dafür. Los ging es mit „Remember me“ und ging über „True Colours“ hin zu „Heartless Places“ bis zu „Jonny Boy“. Es wurde viel ausgelassen getanzt, wenn Platz dafür war, aber wirklich jede*r wippte mit. Die Songs gingen auch mal ineinander über. Oftmals war es so, dass die ersten Töne eines Liedes erklangen und sofort brandete Beifall auf. Das war einer dieser Momente, in dem wir Kraft tanken konnten, weil diese Musik das Hirn abschaltet und die Batterien auflädt. Das war ein absolutes Gesamtkunstwerk aus Licht und Ton, das wir in vollen Zügen genossen.
Dann folgte der krönende Abschluss auf der Amphibühne - Men Without Hats aus Kanada waren angereist. Manja versprach „Pop-Hymnen“ und diese gab es auf die Ohren. Der neue Wave-Klassiker der 1980er Jahre entfaltete sich in remasterter Lebendigkeit. Sänger Ivan legte direkt mit DEM Hit „The Safety Dance“ los – der Song, der die Jahre überdauert hatte und die Menge ließ sich darauf ein. Es wurde getanzt, gejubelt und mitgesungen. Wir bekamen das Gefühl, dass hier etwas Besonderes gelungen war. Die 80er Jahre waren zurück. Keyboarderin Louise sah in ihrem roten Glitzerkleid schick aus und sang in den Refrains auch mit. Die Energie der Formation, die seit 1982 unterwegs ist, war ansteckend. Sie hatten ein Potpourri aus ihrer Schaffenszeit in petto – so kamen etwa „Moonbeam“ oder auch „Where do the boys go?“ vom 2. Album zu ihren Ehren. Der Frontmann war wild entschlossen, auch noch die letzten Kraftreserven des Publikums zu aktivieren und kam ihnen ganz nah, indem er auf die Boxen im Bühnengraben stieg und die Fans anfeuerte. So stand er fast inmitten der Fotografenmeute, die ihre wahre Freude daran hatten.
Mit den Klängen von „Pop goes the world“ in den Ohren war es für uns dann Zeit, sich auf den Weg ins heimische Bett zu machen. Die Hitze des Tages hatte uns echt leergesaugt. Das musste mit etwas Schlaf wieder aufgeholt werden.
Autor: Trixi