Lesung - Roman Shamov - 07.05.2022 SPIKE Dresden

Schon mehrfach war der Autor, Sänger und Schauspieler Roman Shamov im SPIKE Dresden mit einer seiner Lesungen zu Gast. Am 07.05.2022 konnten auch wir endlich einmal dabei sein. Vor Ort angekommen bewunderten wir erst einmal die tollen Graffiti an den Wänden rund um das Kulturzentrum. Drinnen wurden wir auf das Herzlichste begrüßt und direkt eingeladen, uns am Buffet, das eigens für den Abend vorbereitet wurde, zu bedienen. Und gleich mal vorweg – ich hatte noch nie eine Veranstaltung, bei der auch Speisen gereicht wurden – gegen einen freiwilligen Obolus zwar, aber immerhin. Es war alles megalecker und ich könnte mich da echt dran gewöhnen – tolle Unterhaltung und köstliches Essen – das hat echt was!

&thumbnail=1Aber wir waren ja nicht zum Futtern da, sondern um uns die Lesung von Romans neuesten Auszügen aus seinem kommenden autobiographischen Werk „Krawall in mir“ anzuhören. Als es dann endlich soweit war und alle Zuschauer einen Sitzplatz gefunden hatten, begrüßte uns die Vorstandsvorsitzende mit einem fröhlichen „Herzlich Willkommen im SPIKE Dresden.“ Ellen verriet, dass Roman ja schon „Stammgast“ bei ihnen sei und dass der Abend nun noch visueller werden würde, als alle vorherigen. Sie wünschte uns noch „viel Vergnügen“ und übergab das Wort an den etwas nervösen Autor.


„Schön euch zu sehen“, so die ersten Worte von Roman. Direkt zu Beginn verriet er, dass er für sein Publikum eine kleine Premiere vorbereitet hatte – es würde einige neue Kapitel geben, die er so noch nie bisher vorgelesen hat. Und dann versprach er noch, dass er sich quasi auf der „Zielgeraden für das Buch“ befände – wann genau das Werk dann erscheinen wird, darüber halten wir euch selbstverständlich auf dem Laufenden.


Mit einem Lied ging es dann in das vorbereitete Programm. Das Stück „Frieden“ – ein Song der Formation Meystersinger, in der Roman zusammen mit Luci van Org auf der Bühne steht - „passt leider in die aktuelle Zeit“. Aber den Anwesenden gefiel es, denn der Sänger legte viel Gefühl in seine Darbietung. Ich persönlich mag seine Stimme ja absolut gern und summte leise mit. Eine kurze Zusammenfassung der letzten Lesung in Dresden ließ alle, die dabei waren, sich an tolle Momente erinnern und der Rest kam auf den gleichen Stand. Und dann zeigte er uns den „Blick ins Innere“. Und was da so zu erkennen war, war eine Achterbahn der Gefühle.


&thumbnail=1Im Hintergrund zeigte Roman Fotos von sich und seiner Familie – mal er als Kind oder junger Mann, mal seine Mutter, deren Freundin oder seine Großeltern - etwas sehr Persönliches. Das fand ich absolut mutig, aber schließlich ist das ganze Werk ja eine Art Autobiographie, die in kleinen Episoden seine Erfahrungen mit sich und seinen Liebsten erzählt. So erlebten wir etwa einen Tag mit Romans Mama mit, die schon seit Jahren in einer Demenz-Wohngruppe lebt. Dort besucht er sie in unregelmäßigen Abständen und was er so erlebt hat, war nun auch Bestandteil dieses Leseabends. Oft sitzt er am Bett seiner Mama und erzählt mit ihr – auch wenn er nicht genau weiß, ob sie ihn hört bzw. versteht. Für ihn stellen diese Gespräche eine Art Zwiesprache mit dem Universum dar – „Mama hörst du mich?“. Immer wieder stellt er ihr Fragen, ohne auch nur einmal eine Antwort zu bekommen. Aber aus seiner Sicht soll nichts zwischen ihnen verschwiegen oder ungesagt bleiben und solang noch die Möglichkeit zum Reden besteht, nutzt er diese. Roman berichtete davon, dass der so genannte „Familiendruck“ bei ihnen „gehegt und gepflegt“ wird. Als Kind lebte der Autor mit seiner alleinerziehenden Mutter, seiner Oma und deren Freundin Ilse zusammen. Ilse sei eine „Dramaqueen“ und er selbst verglich sich oft mit einem Kaiserpinguin, der hilflos umherwatschelte. Das Verhältnis unter den Damen war schwierig. So schnappten diese untereinander so oft ein, dass Roman die Häufigkeit mit einer Rhythmusmaschine verglich – er führte diesen Rhythmus auch mal eben vor und das war definitiv kein ¾-Takt. Ein kurzes Video von sich, wie er als Kind im ostdeutschen Fernsehen einen kleinen Auftritt mit anderen Altersgenossen hatte, beeindruckte mich und holte bei mir einige Erinnerungen an das Kinder-Fernsehen der DDR hervor – irre.


Dann wechselte der Autor zu einem weiteren Kapitel, wo er feststellte, dass „Nein ein bescheuertes Zauberwort“ sei. Und außerdem: „Dagegen – kann ich!“ Oft wand er sich gegen etwas, getrieben durch seinen inneren Kontrollfreak, mit dem er in ständigem Kampf stand und auch zum Teil immer noch steht. Das bescherte ihm eine gewisse Enge und viele Sorgen. So stellte er des Öfteren fest, dass „alles sein können, ist genauso beängstigend wie nichts sein zu können“. Dieser innere Kontrollfreak versaute ihm in seiner Jugend sogar den Drogenrausch, denn dazu wäre ja ein völliger Kontrollverlust von Nöten – aber nicht mit dem Freak. Roman las hier eine kleine Episode vor, wo er und sein Inneres miteinander stritten – er im Rausch und der Freak herrschsüchtig, der versucht, ihn zur Contenance zu rufen. Das war einerseits sehr amüsant, denn er spielte es nach – mit Gestik und Mimik – andererseits war ihm auch anzumerken, wie anstrengend es für ihn selbst war, so mit sich zu kämpfen. Es war wohl schon immer so – der Freak, der ihn schon seit seiner Kindheit begleitet, blieb und bremst ihn auch noch als gestandenen Mann immer mal aus. Das ist „psychisch extrem schmerzhaft“. Für ihn war allgemein „loslassen“ – egal in welcher Hinsicht – gar nicht so leicht. Als er das erzählte, wollte ich am liebsten aufstehen und Roman mal so richtig kräftig umarmen. Das ging natürlich nicht, also lauschten wir weiter gespannt.


&thumbnail=1„Loslassen, ja, wie denn?“ Er machte wieder einen Sprung und berichtete nun von einem Erlebnis mit seiner Schulfreundin Susi, bei der eine Single zu Schaden kam. Oh nein, die arme Schallplatte. Als Musikliebhaber litten wir an dieser Stelle echt mit. War es doch gerade in der DDR schwierig, bestimmte Platten zu bekommen. Damit er und wir Zuschauer dann mal ein wenig durchatmen konnten, zeigte er uns das Video „Caress“ des Projektes Das Licht, bei dem er ebenfalls Bestandteil war. Wer den Track noch nicht kannte, war von den Klängen schwer beeindruckt – ich mag es ganz besonders. Und damit ging es in eine kleine Pause.


Nachdem wir uns alle ein wenig die Beine vertreten hatten, konnte es weitergehen. Roman zeigte einige weitere Bilder von sich und seiner Familie – wie ähnlich er doch seiner Mama sieht - Wahnsinn. Und in all seinen Erzählungen des Abends ging es immer auch um Liebe. Er verglich sein Inneres mit einer Art Gartenschuppen, der verfällt und sich immer weiter gegen die Außenwelt verschließt. Innen ist er sicher und kann alles kontrollieren – draußen wäre er verloren, verletzlich und würde sowieso nur verletzt. Bei manchen Worten hatte der Autor Tränen in den Augen. Wir merkten sehr, dass all das ECHT war und ganz und gar Roman. Nach und nach kämpft er sich aus der emotionalen Enge aber heraus und es gelingt ihm auch immer besser. „Geh doch mal näher ran ans Leben.“ Er traut sich immer mehr und „es hat sich gelohnt“. Diese Worte stimmten positiv und Vortragender und Publikum konnten sich hier ein Lächeln nicht verkneifen. Das meinte ich mit der Achterbahn – mal wollten wir fast mit ihm weinen, mal ihn trösten, mal mit ihm über ihn selbst lachen und dann wieder bangen. Eine tolle Mischung!


Wieder spielte er ein wenig Musik ein zum Durchatmen. Als nächstes kleines Kapitel trug er uns dann „Von Mädchen und Monstern“ vor. Seine Erlebnisse mit Mama und den nicht gezeigten Gefühlen war dann schon wieder so ein Tal, in dem der kleine Roman hockte und wir ihn am liebsten rausgehoben und auf den Arm genommen hätten. Der Freak in ihm provoziert ihn deswegen immer wieder, bis er dann auch mal ehrlich zu sich und der Welt ist – „Danke für deinen Mut auszusprechen, was du wirklich fühlst.“ Das Meystersinger-Lied „Wie das Meer“ war hierfür die passende musikalische Untermalung.


&thumbnail=1Den Abschluss machte das Kapitel „Wut und Schuld“. Hierin verglich Roman die unterdrückten Gefühle von sich oder seiner Mutter mit einem Vulkan, der jederzeit explodieren könne. Er reflektiert sich und seine Gedanken oder Gefühle immer wieder. Durch diese Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Familie möchte er seiner Mutter nah sein und in seinen Augen funktioniert das sogar – in gewisser Hinsicht. Und es geht ihm immer besser damit. Wie es der Mama geht, kann er nur erahnen und das Stück „Geht’s dir gut da, wo du bist“ bildete einen wunderbaren musikalischen Schlusspunkt, der uns alle etwas seufzen ließ.


„Schön, dass ihr da wart“, damit bedankte sich Roman, mit feuchten Augen bei seinen Zuschauern, die zwar nicht in Massen vor Ort waren, aber alle hingen an seinen Lippen und spendeten lautstarken Beifall. Mit einem Dank auch an die Technik und das SPIKE verabschiedete sich der Autor schließlich von uns – „ich fühl mich wirklich bei euch zu Hause“. Das können wir bestätigen, denn die Atmosphäre vor Ort war absolut familiär und einladend. Danke auch dir, lieber Roman, es war ein intensiver, emotionaler und spannender Abend. Wir freuen uns schon sehr auf dein Buch und hoffen, noch viele solcher Erlebnisse mit dir teilen zu können. Ellen hat schon verraten, dass er im Juli wohl wieder zu einer Lesung einladen wird im SPIKE Dresden. Das nächste Mal solltet ihr unbedingt dabei sein!


Autor: Trixi


Galerie des Abends