Festivalbericht - NCN 2023 - Samstag

Der nächste Tag versprach trocken zu bleiben und so machten wir uns gut gelaunt auf, um den Festival-Samstag zu meistern.


Wieder starteten wir an der Waldbühne und dieses Mal machte Zoodrake, das Electro-Pop-Projekt von Hilton Theissen den Anfang. Sein Keyboarder trug eine Maske und war so nicht zu erkennen. Hilton selbst kam lächelnd nach vorn und griff dann gleich in die Saiten seiner Gitarre. Der Mix aus Indie- und Synthpop kam bei dem noch spärlichen Publikum gut an und schnell wippten die ersten im Takt mit. Die Stimme des Sängers war gut abgemischt und nach und nach wurden die Rhythmen immer flotter. So konnten wir ganz gut aufwachen. Besonders beeindruckte uns das wilde Gitarrensolo bei „Success of the snake“. Das regte die Zuschauer sogar zum Mitklatschen an. „Vielen Dank für das herzliche Willkommen“, so der Musiker. Er verausgabte sich schier und wirbelte auf der riesigen Stage hin und her. Das verlangte er auch von den Zuhörern und meinte dann keck: „Habt ihr den Freitag noch in den Knochen?“ Davon ließen sich dann einige dazu hinreißen, doch schon mitzutanzen. Weiter ging es mit Songs wie „Black out day“ oder auch „Upgrade“. Uns hat es gefallen – dieses Projekt ist wahrlich hörenswert.


Mit EBM aus Frankreich wurde es dann noch lauter und schneller. Kalt waren hier angereist, um für Stimmung und Tanzbewegungen unter den Fans zu sorgen. Der Bass war so hart, dass es beide Bandbanner vor den Boxen nach und nach umhaute. Die Sonnenbrille bei Frontmann Bodyhammer auf der Nase sah cool aus, ebenso sein Outfit. Sein Kollege Arthur bediente die Technik, damit die Boxen richtig dröhnten. Die tiefe Stimme des Sängers passte zu den dumpfen Klängen und die ersten EBM-Freunde vor der Stage stompten im Takt von „Politics under pressure“ mit. Aber nicht nur die waren in Bewegung – auch die beiden Künstler genossen ihre Sounds und tanzten zum Teil ausgelassen dazu. Auf der Videoleinwand im Hintergrund waren wilde Muster und andere Bilder zu sehen. Die einzelnen Stücke wurden hier auch zu Beginn immer kurz genannt – wie auch „Under device“. Es wurde allmählich voll in dem kleinen Amphitheater und so wurde der EBM gemeinsam zelebriert, denn EBM am Morgen…


Uns war danach dann aber noch einmal nach etwas Ruhigerem und so nahmen wir Platz an der kleinen Lesebühne, wo uns Christian von Aster erwartete. Er las auf diesem Festival an allen drei Tagen und jeden Tag gab es ein anderes Oberthema für die Inhalte. Dieses Mal war es der Tod. Vorab gab der Leipziger Autor noch einen Hinweis darauf, dass beim NCN die Mitternachtshüpfburg zu besuchen sei – eine echt schwarze Hüpfburg, die nach einer Kurzgeschichte von ihm entstanden war. Es konnte also Gruftie-mäßig gehüpft werden. Außerdem ließ er verlauten: „Das NCN ist ein besonderes Festival für mich.“ Doch dann ging es direkt rein in das tödliche Vorlesevergnügen. Er hatte sich bereits in verschiedensten Varianten mit dem Ableben beschäftigt – mal romantisch, mal in der Funktion als Trauerredner -„Die beste Trauerrede ist die, wo jeder lachen und weinen kann.“ - und mal aus der Position des Ängstlichen. In der kleinen Geschichte „Presunto“ ging es um ein Pärchen, das sich wegen eines Filmes vom Regisseur Presunto kennengelernt hat. Er erzählt vom Verlauf ihrer Beziehung, die sich entwickelt und dann mit dem Tod der Dame leider endet. Traurig, aber auch schön geschrieben. In einem Ausschnitt aus „Harem der verschleierten Geschichten“ lernten wir eine Inuit-Frau kennen, die eine besondere Verbindung zum Tod hatte. Sie kämpft gegen ihn, kann ihn aber nicht besiegen, jedoch verlangsamen – so handelt sie mit ihm für ihren Stamm einen Deal aus. Und weil „Märchen mein großes Faible“ sind, hatte Christian noch ein modernes Märchen über „Herr Rabe“ für uns in petto. Herr Rabe lag im Krankenhaus und wartete auf seine „Spritze mit Aussicht“ und bekommt dann aber Besuch von Todesfeen, die erst seinen Bettnachbarn holen und dann ihn. Sein letzter Wunsch ist noch einmal eine Partie Skat spielen zu können – witzige Idee. Noch zwei weitere Werke über und mit dem Tod waren in der Zeit möglich und dann bekam der wunderbare Herr von Aster viel Applaus aus vollen Sitzreihen. Der Wortwitz, die Spontanität und die Sprachgewandtheit des Autors waren wie immer ein Highlight und wir zogen glücklich weiter zum nächsten Programmpunkt.


Den boten Ashbury Heights auf der Amphibühne. Als „Garant für abwechslungsreichen Synthpop“, so Moderatorin Manya, versprach es nun wieder sehr tanzbar zu werden. Das Outfit von Sängerin Yasmine war sehr sexy mit ihrer engen Hose, aber auch Anders sah toll aus mit schwarzem Hemd und roter Krawatte. Los ging es mit „Waste of love“ und ihre Stimmen harmonierten vom ersten Moment an super. Sie waren sehr agil und liefen viel hin und her. Auch sangen sie vom vorderen Bühnenrand aus die ersten Reihen an, denn es war recht voll hier. Der Musiker im Hintergrund bediente mal Keyboard und mal Gitarre und heizte zusätzlich ein. Yasmine tanzte mit dem Publikum um die Wette oder aber sie ruhte sich sitzend auf den Monitorboxen aus und genoss die tolle Atmosphäre. Weiter ging es mit „Headlights“ und auch dem Hit „Smaller“ – es ist immer wieder toll, liebgewonnene Songs auch mal live miterleben zu können. Dafür lieben wir alle Konzerte und so waren die Arme oben und es wurde ausgelassen mitgesungen. Die beiden Musiker spielten mit den Fotografen und posierten immer wieder – das macht tolle Künstler echt aus. Der Beifall war auch immer sehr ausgelassen, denn die Show war nicht langweilig und die Musik war toll anzuhören. Selbstverständlich durfte auch „Spiders“ nicht im Set fehlen und hier bewegte sich dann auch der Letzte noch mit – das ging gar nicht anders. Wir haben die Band das erste Mal gesehen – es wurde aber auch mal Zeit – und hatte richtig Spaß.


Dann pilgerten wir aber weiter zur Parkbühne, um noch eine Neuentdeckung zu machen. Bedless Bones war ebenfalls neu für uns und wir waren sehr beeindruckt. Die estnische Sängerin Kadri war mal an der Technik zugange und mal spielte sie auf einer besonderen Art von Harfe. Dazu noch ihre sanfte Stimme und die sphärischen und meist ruhigen Klänge – das war wirklich toll. Bei ihrem Outfit war anfangs nicht klar, wo ihr eigenes Haar endete und wo das Kunsthaar an Weste oder Hüfte begannen – das wirkte schon ziemlich abgefahren.„Thanks for having us“, so ihre kurze Begrüßung und dann wurde es allmählich flotter. Sie schüttelte ihre Haare zu den Rhythmen und vor der Bühne kam Bewegung auf. Hüpfen und tanzen war nun angesagt. Ihr Live-Drummer drosch mal auf die E-Drums ein und mal erzeugte er Klänge, indem er auf die metallenen Pfeiler der Bühne haute – das war wirklich speziell. Kadri nutzte auch immer wieder Effekte, um ihrer Stimme noch mehr Ausdruck zu verleihen. Insgesamt war die Mischung aus Stammesmusik, Postpunk und Electro etwas ganz anderes, aber wahrlich cool und hörenswert. Das solltet ihr euch unbedingt mal anschauen.


Danach ging es zurück zur Amphibühne, wo uns ein „exklusives Konzert“ erwartete. Eigentlich hatte Torny seine Tätigkeit mit Project-X schon eingestellt, so Manya, doch nun wurde das Ganze reaktiviert und an diesem Tag gab er im Kulturpark Deutzen sein Comeback. Aus einer Nebelwand heraus trat er hervor – den Kopf mit Klarsichtfolie umwickelt und über und über mit Kunstblut beschmiert. Das sah sehr strange aus. Die Folie fiel aber schnell und so war sein Gesicht zu sehen. Im Hintergrund lief auch hier auf der Videoleinwand ein Filmchen mit, während der Sänger am Bühnenrand hin und her pilgerte und dabei seine Texte rausbrüllte. Er war absolut in Fahrt und genoss die Party, die dabei vor der Bühne abging, denn die Fans hatten 20 Jahre auf diesen Moment gewartet und gemeinsam wurde nun richtig gefeiert. „It’s been 20 fucking years“ und „Infected“ konnte wieder einmal live aus den Boxen dröhnen. Keyboarder Mattias schaute nur auf seine Tasten und tanzte dabei vor sich hin. Die beiden hatten ihr Publikum fest im Griff. Der Frontmann verausgabte sich und auch er poste gut für die Männer und Frauen mit den großen Fotokameras. Mal ging es dabei auf die Knie und mal stand er am Bühnenrand und brüllte die Fans an. Auf der Leinwand wurden hin und wieder Textzeilen eingeblendet, falls hier jemand nicht textsicher sein sollte. Aber die Anhänger von Project-X hatten das nicht nötig, denn auch so konnten sie jede Silbe mitsingen. Der Beat war schnell und aggressiv und so wurde es eine wilde schwedische EBM-Fete. Hoffentlich dauert es bis zum Wiedersehen nicht wieder 20 Jahre!


Auf einem Festival ist der Sprung von Genre zu Genre recht einfach – von EBM ging es wieder zurück zu Postpunk mit den Traitrs auf der Parkbühne. Die Kanadier, die ihre Wurzeln in den 1970ern und 80ern sehen, wurden mit viel Beifall begrüßt und dann ging es mit „Oh Ballerina“ auch schon los. Dabei startete der Gesang und dann setzte erst die Musik ein. Keyboarder Sean-Patrick hatte anfangs noch eine Kapuze auf dem Kopf und Frontmann Shawn, der die Gitarre übernommen hatte, versteckte seine Augen hinter den Haaren. Sie beide waren in ihre Musik vertieft und gingen dabei mächtig ab – sowohl stimmlich als auch ausgelassen tanzend. Die Menge tanzte ebenso und klatschte im Takt mit. Shawns Gesang war sehr gefühlvoll und doch mit voller Inbrunst – eine schöne Variante. Es erinnerte uns ein klein wenig auch an The Cure-Frontmann Robert Smith. Die Sonne stand mittlerweile so tief am Himmel, dass die Strahlen von rechts fast waagerecht durch die Bühne fielen. Der Nebel auf der Bühne vervollständigte dazu das Bild, was absolut großartig aussah und wunderbar zur Musik passte. So etwas kann nicht geplant werden – der Zufall machte es aber hier möglich. Weitere Tracks waren „Still from her sores“ oder auch „The Suffering of Spiders”, was die Fans mit viel Beifall belohnten.


Das nächste Highlight folgte dann schon – Janus hatten sich mit einem akustischen Set auf der Amphibühne angekündigt und das durften wir uns nicht entgehen lassen. Die vier Herren sahen in ihren Anzügen sehr adrett aus und die Zuschauer warteten schon gespannt auf das, was da kommen mochte. Los ging es dann mit „Die Ballade vom alten Seemann“. Rigs kräftige Stimme erfüllte das ganze Amphitheater und er hätte fast kein Mikrofon dafür nötig gehabt. Das war wahrlich beeindruckend und nicht wenige im Publikum schauten imponiert. Die Querflötenklänge, dargeboten von Daniel, waren abgefahren und auch der Tempowechsel im Stück kam gut an. Die Lieder der Formation sind allesamt recht lang und zeigten hier alles Können von Musikern und Sänger – genial! Dann verkündete der Sänger, dass es „tatsächlich cool“ sei, „auch mal hier zu sein“. Das fanden wir aber auch. Martin entlockte im Anschluss seinem Cello tolle Sounds und schon erklang der Klassiker „Isaak“, wo einige Fans auch mitsangen. Dabei wurde die Band in rotes und weißes Licht getaucht. Überhaupt war die Lichtshow bei diesem Auftritt wirklich schick anzuschauen. Tobi spielte am Klavier mit geschlossenen Augen und auch Rig hatte beim Singen immer wieder geschlossene Lider. Rig verausgabte sich wahrlich und musste schließlich doch sein Jackett ausziehen, um noch ausladendere Gesten beim Singen vollführen zu können. Das war mit „Totes Land“ auch notwendig, einem weiteren "biblischen Stück“ aus ihrem umfangreichen Repertoire. Die Reihen waren recht voll und alle lauschten gespannt. Mit „Terror“ folgte dann ein „langes kaltes Lied“, wo auch Martin und Tobi mitsangen, was toll klang. Die Sonne war nun ganz verschwunden und die Lichtshow wirkte noch einmal intensiver. Das irre Lachen am Ende des Liedes war beängstigend und doch so passend – Wahnsinn! Nach diesem „zweitlängsten Lied“ folgte zum Ende noch der „Stimmungskiller“ schlechthin – „Anita spielt Cello“. WOW! So traurig und doch so schön. Das war ganz großes Kino und da war es absolut berechtigt, dass das Publikum nach einer Zugabe verlangte, die es mit „Der Flüsterer im Dunkeln“ dann auch noch gab. Gänsehaut pur! Danke an Janus für dieses herausragende Performance an diesem Tag. Bis hoffentlich bald mal wieder.


Zurück an der Parkbühne waren wir noch ganz geflasht und schon starteten Attrition aus Großbritannien mit ihrem Auftritt. Vor der Stage waren die Reihen etwas lichter, denn die meisten Zuschauer waren zu Kirlian Camera gepilgert, die zeitgleich spielten. Aber nichtsdestotrotz war die Formation motiviert und zeigte ihren Mix aus Dark Industrial, Postpunk und Akustik, gepaart mit tollem weiblichen Gesang und der rauen Stimme von Martin. Der Kopfschmuck der Sängerin sah sehr schick aus und ihre Stimme war sanft wie Seide und wunderschön. Ihr Stimmumfang war riesig in unseren Ohren und dafür erhielt sie auch viel Beifall. Der Live-Keyboarder im Hintergrund war absolut unaufgeregt und bewegte sich kaum – er war in dem spärlichen Licht auch kaum zu erkennen. Martin nahm ein ganzes Bündel Räucherstäbchen in die Hand und entzündete sie. Dies behielt er die ganze Zeit über in der Hand, so dass es fast aussah, als ob er einen überdimensionalen Joint zwischen den Finger habe. Mal kniete er beim Singen, spielte an der Technik herum für andere Sounds, saugte den Rauch der Stäbchen ein oder zerpflückte Papier – das hatte eher etwas von einem Performance-Ritual. Die Musik war sehr sphärisch, die Beats waren gut und der Sprechgesang von ihm dazu holte einige der Zuschauer echt ab. Es wurde im Rhythmus mitgewippt und der Applaus war nicht zu verachten. Das war echt mal was anderes.


Als Headliner des Tages hatte uns das Orga-Team mal wieder einen „großen 80er-Jahre-Act“ beschert. Die Wahl war hier auf Tom Bailey von den Thompson Twins gefallen. Zuerst kamen die drei Musikerinnen hervor, die allesamt weiß gekleidet waren. Dann folgte Tom, ebenfalls im weißen Anzug – ein tolles Gesamtbild. Der Sound war von Anfang echt sehr gut abgemischt, so dass der mehrstimmige Gesang ein Trommelfellschmeichler war. „In the name of love“ erklang und die Fans tanzten drauf los und selbstverständlich wurde auch mitgesungen. Der Sänger bewies, dass er ein Multiinstrumentalist ist, denn mal hielt er einen Schellenring in Händen, dann haute er auf E-Drums ein und im nächsten Moment stand er am Keyboard, spielte Mundharmonika oder nahm eine Gitarre zur Hand – echt imponierend. Die Menge klatschte immer wieder im Takt mit, so auch bei „Science fiction“, wo ein Bild eines Atoms auf der Videoleinwand im Hintergrund eingespielt wurde. Besonders die Bassistin machte uns Spaß, denn sie groovte ordentlich ab. Tom sprach zwischen den Stücken mit seinem Publikum – „Hello everybody. It’s the first time in this part of the world.” Na, das wurde aber auch mal Zeit! Die Drummerin kam auch mal nach vorn, nahm sich eine Bongo und so wurde gemeinsam „The Gap“ performt. Der Rhythmus war hier besonders cool und auch das Licht war nicht zu verachten – rosa Lichtstimmung, das durch weiter Lichtkegel, die umherwanderten ergänzt wurde – hübsch. Ein riesiger rosa Ball wurde bei „You take me up“ auf die vollen Reihen losgelassen, die so lang damit spielten, bis er platzte. Das machte wirklich Laune und es war toll, die alten Hits hier einmal dargeboten zu bekommen.


Wir waren aber schon recht müde von diesem langen Tag mit all den Eindrücken und verabschiedeten uns. Es gab ja am nächsten Tag noch mehr zu erleben.


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Autoren: Trixi


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