Festivalbericht - NCN 2023 - Sonntag

Nach einem ordentlichen Frühstück machten wir uns bei strahlendem Sonnenschein wieder auf und kamen rechtzeitig an, um auf der Waldbühne den Auftritt von Tino Claus miterleben zu können, der hier mit seinem Soloprojekt TC75 bereitstand. Moderatorin Anne verriet, dass er insgesamt schon 10x beim NCN aufgetreten sei, mit den verschiedensten Acts. Mit einem lässigen „Mahlzeit“ begrüßte uns der Künstler und dann dröhnte es auch schon los mit elektronischen Klängen und harten Beats. Er trug eine Sonnenbrille auf der Nase – für ihn war es wohl auch noch zu früh und zu hell. „Seid ihr wach?“ Seine Stimme war bei „Swear to God“ durch einen Effekt verzerrt und beim Singen lief er auf der großen Stage von links nach rechts und wieder zurück – stillstehen ging gar nicht. Dabei brüllte er die Textzeilen nur so raus. Dann zog er seine Lederjacke aus – es wurde doch schon recht warm. Einzelne Zuschauer kamen gerade noch an und wurden von Tino passend mit einem Winken begrüßt: „Welcome to the Hall of Shame“. Einige Fans waren auch anwesend und die gingen zu den Rhythmen ab und tanzten zur Mittagsstunde – Frühsport sozusagen. „Forge ahead“ oder „Back in the place“ waren dafür aber auch äußerst geeignet, denn wieder einmal galt – EBM am Morgen usw.


Laut blieb es, denn wir hatten uns dazu entschieden, Versus Goliath bei ihrem Gig auf der Amphibühne zu besuchen. Laut Moderatorin Manya hatte sich das Trio „für den Weg der Druckbetankung entschieden“. Damit war aber nicht Saufen gemeint, sondern Druck durch ordentlich Bass. Der pustete dann bei „Virus“ auch direkt die Ohren der Zuschauer frei und Drums und Gitarre vervollständigten den Soundteppich. Frontmann Florian trug eine grüne Jacke und rappte seine Texte zu der wilden Musik. Gitarrist Andreas war total irre und jagte wie ein Derwisch über die Bühne. Dabei sprang er auf und ab und verausgabte sich absolut. Aber auch Drummer Jonas war gut dabei und haute nur so auf die Felle. „Steh auf“ hatte durchaus einen aggressiven Vibe, mit viel Druck und Kraft dahinter. Bei „Engel“ steuerte Andreas ein gutes Gitarrensolo bei, während Florian am Keyboard sein Können zeigte. Das Trio bedankte sich mit einem Applaus beim Veranstalter dafür, dass sie hier dabei sein konnten und für die tolle Organisation. Weil sie in der warmen Sonne spielen mussten, flog dann die Jacke beiseite und so konnte noch wilder performt werden. Die Arme beim Publikum waren auch oben und es wurde abgetanzt. Und gefiel der Mix aus Rap und Rock aber nicht so gut und wir suchten uns ein kühles Getränk.


Robert Meyer und Signalfarbe Schwarz waren als nächstes auf der Lesebühne dran und das wollten wir uns mal anschauen. Hier erwartete uns mystische Musik, Drums und Percussion, Waldklänge und ein Theremin – und dazu eine Leseperformance. Robert selbst sah in seinem Outfit mit Weste sehr adrett aus, wohingegen sein Kollege Roman mit seinem Tuch um den Kopf wie ein Gangsta-Rapper wirkte – wilde Mischung. Die beiden hatten für uns eine spezielle Version des Märchens „Der Mond“ von den Gebrüdern Grimm in der Bearbeitung von Carl Orff aus dem Jahre 1939 in petto. Hierbei wurde der Mond von einigen Burschen aus einem Land gestohlen, weil bei ihnen des Nachts solche Dunkelheit herrschte. Die leuchtende Kugel sollte dann als Lampe dienen. Und so entstand dann ein Kampf um den Mond. Beide lasen im Wechsel kleine Stücke vor, wobei die Betonung und die verschiedenen Stimmen für die einzelnen Rollen gut rüberkamen. Dann wurde zwischen den Texten immer wieder Musik gemacht, wobei gerade das Theremin wirklich toll war. Uns faszinierte, wie Robert diesem berührungslosen Instrument die verschiedensten Klänge entlockte – wahnsinnig spannend. Überhaupt war die Mucke sehr elektronisch und abgefahren. Die Performance war mal etwas ganz anderes – strange, aber doch irgendwie ansprechend.


Gothic-Rock war nun angesagt, denn das ist genau das Ding von The Nosferatu, die ihre Anfänge schon Ende der 1980er hatten. Manya meinte verschmitzt: „Wir wissen ganz genau, warum diese Band hier noch bei Tageslicht spielt.“ Da waren doch wohl nicht Vampire im Spiel? Nach einem langen Intro kamen die Musiker dann hervor und auch wenn die Bühne im direkten Sonnenlicht lag, zerfielen die Herren nicht direkt zu Staub. Also Glück gehabt. Gitarrist Vlad sah mit seinen Haaren, der Jacke, den Kontaktlinsen und dem vielen Schmuck aber durchaus vampiresk aus. Sänger Louis sang sich mit seiner tiefen Stimme in die Herzen der anwesenden Fans, die selig lächelten und zu den Klängen tanzten. Die Musiker hingegen standen fast nur auf der Stelle und boten die Songs souverän dar – da passierte aber nicht viel auf der Bühne. Stücke wie „Dark Angel“ oder „Siren“ kamen gut an. Das war solider Goth-Rock – gekonnt ist eben gekonnt.


Uns war dann aber eher nach Horrorpunk von Deutschlands führender Formation dieses Genres – The Other waren an der Reihe, die Waldbühne zu rocken. Eine Stimme aus den Boxen verkündete: „Welcome to the extraordinary show of Horror.” Und dann ging es in die Vollen mit “A Party at Crystal Lake“. Frontmann Rod war richtig gut drauf und verausgabte sich vom ersten Augenblick an. Mal auf den Knien singen und dann am vorderen Bühnenrand die Menge anfeuernd. Zwischen den Musikern waren zwei große „Fenster“ aufgestellt worden, die ein tolles Gesamtbild ergaben. Der neue Gitarrist Marv, der hier das allererste Mal mit dabei war, machte seine Sache richtig gut und gab gut den Ton an. Ein Hit jagte hier den nächsten – wie etwa „Bloodsucker“, „Tarantula“, „Back to the cemetery“ oder auch „Hyde inside“. Die Musiker interagierten immer wieder miteinander und der Spaß an der Sache war ihnen anzusehen. Und auch wenn sie einige Abstimmungsprobleme mit den Stücken hatten, klappte am Ende doch alles super – das machte sie nur noch sympathischer. Das Mitbrüllen der Texte im Publikum funktionierte auch immer wieder gut – es hatten also alle Anwesenden ihre Freude an der Darbietung. Der Sänger verriet, dass sie sich über die Menge vor der Bühne echt freuten, denn sie hatten schon Bedenken, als Horrorpunker auf einem Festival mit vorrangig elektronischen Bands kaum Publikum zu haben. Es wurde aber wild mitgeklatscht und getanzt. Stillstehen war bei den Rhythmen sowieso nicht möglich und die Band erspielte sich an diesem Tag mit Sicherheit diverse neue Fans. „Es macht verdammt viel Spaß mit euch“ – ja, das geben wir gern zurück. Es gab sogar zu Ende hin einen kleinen Moshpit in den ersten Reihen – so gehört sich das aber auch. Somit war es ein rundum gelungener Auftritt.


Mit einer weiteren Kultformation ging es schließlich auf der Amphibühne weiter. Hier hatte sich die 1980er Jahre-Kultband Sigue Sigue Sputnik angekündigt. Bereits zum 2. Mal rockten sie hier die Nocturnal Culture Night. Die Musiker um Frontmann Martin hatten wieder einmal absolut abgefahrene Outfits an – der Sänger selbst hatte einen großen Iro aus Federn aufm dem Kopf und ein wallendes Gewand in den gleichen Farben, der Gitarrist Marc trug eine Uniformjacke, Strapse und einen Schwanz und die Bassistin, die auch die deutschen Ansagen übernahm, beeindruckte mit Mieder und Strapsen. Mit „Rock it Miss USA“ gaben sie direkt den Takt an, in dem hier abgefeiert werden sollte. Der mehrstimmige Gesang war klasse und die vollen Reihen gingen von der ersten Note an richtig ab. Der Jubel war groß, was der Band gefiel – „It’s fabulous to be back here“. Mit “Teenage thunder” und “Boom Boom Satellite” feuerten sie einen Hit nach dem anderen ab und die Menge eskalierte schier. Martin war gut gelaunt und meinte mit einem Augenzwinkern: „You can all take your clothes off“. Einige ließen dann auch die Shirts weg und tanzten wild drauf los. Auch Veranstalter Holger genoss den Gig gemeinsam mit den Konzertgästen und hatte sichtlich Spaß an der Stimmung. „Such a great audience“, so das Kompliment des Sängers. Mit einem Fächer fächelte er sich Luft zu, denn immer noch war es sehr warm. Selbstverständlich durfte auch „Love missile F1-11“ an diesem Abend nicht fehlen und machte alle Fans sehr glücklich. Die Band hat es eben immer noch drauf.


Dann folgte etwas Besonderes auf der Parkbühne. Doch zuerst forderte Manya einen Applaus für die Crew und die Techniker ein, war es doch der letzte Gig fürs Festival auf dieser Stage. Dann forderte sie alle Zuschauer auf: „die unsagbare Liebe zwischen den beiden zu feiern“. Die Rede war von dem leider verstorbenen Gabi Delgado und Robert Goerl, der nun hier mit DAF auftreten würde. Robert war anfangs etwas zurückhaltend und sagte zu Beginn: „Schön, wieder hier zu sein. Es ist ein bisschen anders, aber die Welt dreht sich weiter.“ Zusammen mit Sylvie an der Technik ging es auf, die alten DAF-Tracks noch einmal aufleben zu lassen, auch wenn es nicht das gleiche war ohne Gabi. „Im Schatten“, „Kunststoff“, „Wir sind wild“ oder auch „Der Räuber und der Prinz“ wurden von den beiden dargeboten, wobei sie auch mitsang oder die Zeilen nur in Mikrofon hauchte. Es war sehr eng vor der Stage, aber trotzdem kam Bewegung auf. Auf der Leinwand im Hintergrund wurden immer wieder Bilder der jungen Herren von DAF gezeigt, was die Augen schon ein wenig feucht werden ließ. Der Sound war gewohnt super, aber der Gesang und die insgesamt unaufgeregte Darbietung holten uns nicht so wirklich ab.Die Zuschauer hatten insgesamt aber trotzdem ihren Spaß und tanzten drauf los und grölten die Texte mit.


Ein Jubiläum musste an diesem Tag auch noch gefeiert werden. Vor der Waldbühne waren überall kleine Schweden-Fahnen und zahlreiche blaue und gelbe Ballons zu sehen. Außerdem hatten Fans große Ballons in Form der Zahl 35 und der Buchstaben S.P.O.C.K vorbereitet. Damit war klar, was hier abgehen würde. Nach einem längeren Intro kamen Alexander, Val und Yo-Haan nach vorn und die Menge begrüßte sie mit frenetischem Jubel. „Borg“ erklang und der Hexenkessel explodierte. Diese Formation weiß einfach, wie es geht und die Party zum 35. Bandgeburtstag nahm ihren Lauf. Es war voll und eng und alle hatten aber ihren Spaß. „Wir sind wieder hier!“ Yo-Haan spielte wild auf seinem Keyboard, das er sich umgehängt hatte und Alex tanzte quer über die Bühne.„35th anniversary in Deutschland – a very special night“, so der Frontmann. Er sollte so Recht behalten – das war richtig irre und machte verdammt viel Spaß.Die Band hatte hier wieder einmal ein Potpourri ihrer spaßigsten Songs vorbereitet – so etwa „Mr. Spocks brain“, „Take me to the stars“, „Dr. McCoy“, „She’s an alien“ oder „Trouble with Tribbles“. Zwischendrin waren immer wieder S-P-O-C-K-Rufe aus dem Publikum zu hören, die der Band die Stimme verschlugen. Leider hatte der Arzt dem Sänger wegen einer Beinverletzung verboten, wild rumzuspringen und deswegen sollten das die Fans für ihn übernehmen – gesagt, getan. Er ging dann lieber wie ein Roboter hin und her.Und auch wenn die Herren ewig keine neue Musik veröffentlicht haben, „we are here and having a party“. Klappte echt gut! Sie hätten sich nach eigener Aussage keinen besseren Ort für ihren Geburtstag aussuchen können – das war ein toller Abschluss für die Waldbühne und die Menge tobte nur so. Cooles Ding!


Den Festival-Abschluss bildeten schließlich Die Krupps auf der Amphibühne. Auch hier gab es vorab noch einen Applaus für die Crew und die Techniker. Es war sehr voll und alle warteten auf den letzten Gig des NCN 2023. Mit einem guten Beat zeigten Sänger Jürgen und seine Kollegen dann aber gleich, was hier noch auf das Auditorium wartete – „Blick zurück im Zorn“ heizte mächtig ein und die Fans jubelten. Der Frontmann hob seinen Mikrofonständer immer wieder hoch und gab alles. Dabei lief er hin und her und stand auch mal am vorderen Bühnenrand, um Fans anzusingen oder Schabernack mit den Fotografen zu treiben. Die Menge hatten immer wieder die Arme oben und sang lauthals mit. Die Gitarristen Marcel und Nils rockten ordentlich ab und Drummer Paul drosch bei „The dawning of doom“ drauf los, als ob es kein Morgen gäbe. Diese Energie war echt bemerkenswert. Bei diesem Track stand Jürgen halb auf seiner „Stahlorgel“ und war so auch noch für den letzten in den hintersten Reihen zu sehen. „Schön, hier zu sein“, das fanden die Zuschauer aber auch. Zu „Der Amboss“ drosch der Frontmann dann auch auf seine Orgel im Takt des Refrains ein – immer wieder ein cooles Bild, wenn er die großen Metallrohre traktiert.


Das bildete für uns das Ende der 16. Nocturnal Culture Night, denn unser Bettchen rief nach uns – wir waren kaputt von der Wärme und drei Tagen wilder Festival-Action. Es war wie immer schön, auch wenn der Regen am Freitag nicht hätte sein müssen, aber das kann ja leider niemand beeinflussen. Wir hätten uns ein paar mehr Sitzmöglichkeiten gewünscht, aber irgendwas ist ja immer. Bei mittlerweile fünf Bühnen war es absolut nicht möglich, alles anzuschauen, aber all die miterlebten Gigs und Performances waren sehr gelungen und wir haben auch dieses Mal einige Neuentdeckungen machen können. Unsere Highlights waren in diesem Jahr Alchemists of Mu, Potochkine, Empathy Test, Christian von Aster, Bedless Bones, Janus, The Other und S.P.O.C.K. Wir freuen uns schon auf die 17. Ausgabe in 2024 – da seid ihr doch auch wieder mit dabei, oder!?


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Autoren: Trixi


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