Der zweite Festivaltag begann wieder mit prallem Sonnenschein und heißen Temperaturen. Wir düsten, mit Sonnencreme gewappnet, auf zum Kulturpark in Deutzen und stürzten uns ins musikalische Vergnügen. Den Anfang machte für uns an diesem Tag der Gig von Morphose auf der Amphibühne, die schon im Vorfeld ihr Gastsänger in den sozialen Medien verraten hatten. Mit Sonnenbrillen auf den Nasen kamen Mastermind Christoph Schauer, Arc Morten und ihre Mitmusiker nach vorn und wurden mit Beifall empfangen. Los ging es direkt mit der neuen Single „Open Shutter“, wo Gastsänger Lennart Salomon am Mikrofon stand. In seinen weißen Klamotten sah er sehr gut aus und mit einem Lächeln auf den Lippen nahm er das Publikum direkt für sich ein. Seine wunderbare Stimme tat da noch sein Übriges dazu – besonders den weiblichen Fans gefiel das sehr. Der Sound war gut, der Drummer gab alles von Anfang an und der Jubel der Fans war nicht zu überhören. Ein trockenes „Mahlzeit“ war die lockere Begrüßung, die uns alle grinsen ließ. Bei diesem „elektrischen Brunch“ wurde zu den Songs mitgeklatscht – „gebt mir mal’n bissl Festival-Feeling“ - und wirklich jeder hatte gute Laune. Lennart, selbst mit einer Gitarre bewaffnet, und Christoph standen immer mal zusammen und hauten in die Saiten, während Morten an den Tasten sein Bestes gab. Tanzen war auf und vor der Stage angesagt – diese Klänge ließen aber auch gar nichts anderes zu. Mehrstimmiger Gesang rundete das Ganze dann ab. Am Mikrofon wurde sich dann auch abgewechselt – Morten und auch noch Sven Friedrich gaben Lieder wie „Control“ oder „Undertow“ mit viel Gefühl und Inbrunst zum Besten. Mal standen sie dabei auf den Boxen im Bühnengraben, mal tänzelnd zwischen ihren Kollegen und dann wieder am Bühnenrand, um einzuheizen. Diese Party war wirklich klasse und wir empfehlen, Morphose ruhig öfter live mitzuerleben.
Die Parkbühne war dann unsere nächste Anlaufstelle, denn hier standen Astari Nite aus Miami auf dem Plan. Laut Moderatorin Anne bietet diese Formation eine „zeitlose Mischung aus Alternative und Darkwave“. Und genau das hatten die Herren dann auch im Gepäck. In Nebel gehüllt haben Frontmann Mychael und seine Mitmusiker dann gezeigt, dass sie nicht umsonst von ihren Fans so geliebt werden. Auch sie hatten Sonnenbrillen auf, denn normalerweise spielen diese Bands in dunklen Clubs und nicht in der nachmittäglichen Spätsommersonne. Allerdings begrüßten sie uns mit einem verschmitzten „Good morning“ – es war wohl noch zu früh für sie. Tracks wie „Tongie tied galore” oder auch „What a rainbow feels like“ erzeugten einen düsteren Soundteppich, zu dem sich die Zuschauer im Takt mitbewegten. Gitarrist Howard verausgabte sich mal am vorderen Bühnenrand und mal direkt vor den Drums seines Kollegen Illia. Mychaels Stimme war tief und angenehm. Beim Singen tanzte er selbst umher und begeisterte mit seiner androgynen Ästhetik. Außerdem war seine Gestik sehr ausgelassen – eine absolut starke Bühnenpräsenz, die nicht jeder Sänger mit sich bringt. Nicht schlecht.
An der Waldbühne wollten wir dann noch ein wenig dem Auftritt von Lights of Euphoria lauschen. Die Musiker standen in der prallen Sonne und schwitzten mit allen um die Wette. Frontmann Jimmy und sein Kollege hatte aber arge technische Probleme – dem PC, aus dem die Musik kommen sollte, war es eindeutig zu warm und so setzte er immer wieder aus, so dass einige der Stücke zu einer Art Stotter-Partie wurden. Sie konnten einem echt leidtun. Jimmy wollte in seinem extravaganten Outfit – mit schwarz-goldenem Hemd und rot-schwarzer Hose - immer wieder zu den eigenen Klängen lostanzen und schon brach die Musik wieder ab. Echt schade, denn nicht wenige Fans hatten sich auf diesen Gig gefreut. Nach und nach klappten dann ein paar der Lieder doch noch und so war es ein holpriger, aber dennoch guter Auftritt, zu dem abgetanzt werden konnte.
Auch Beborn Beborn hatten das große Los der Sonnenverbrutzelung gezogen auf der Amphibühne. Aber sie war tapfer und gaben ihr absolut Bestes. „Synthpop mit Verstand“, so kündigte sie Manya an und das können wir nur unterschreiben. Mit „The colour of love“ ging es direkt in die Vollen und die Zuschauer tanzten drauf los. Einige blieben im Schatten an den Rändern zurück, doch auch dort kam Bewegung auf. Wer sich aber zu den Musikern in den Sonnenschein gesellte, war so ausgelassen wie etwa Frontmann Stefan, der die Menge am Bühnenrand anfeuerte. Zweistimmiger Gesang zu Tracks wie „24/7 Mystery“ oder „Another world“ kamen gut an und wurden beklatscht. Die Mischung als Klassikern und Songs vom aktuellen Album war gut gewählt und machte die Anwesenden glücklich. Mal ruhigere Klänge und dann wieder tanzbarer Arschwackel-Synthpop. Stefan traute sich auch auf die wackeligen Boxen im Bühnengraben und beeindruckte mit seiner samtigen Stimme. Die Musiker Stefan und Michael, die ebenfalls für viel Stimmung sorgten, waren clever und blieben im Schatten an ihren Instrumenten stehen, doch auch dort war es unsagbar heiß. Der Sänger sagte dann aber scherzhaft: „Ich habe dein Eindruck, die Hitze lässt nach“ und wollte so noch mehr in die Reihen vor der Stage locken. Das klappte sogar ein wenig. „Danke, dass ihr das aushaltet – total crazy.“ Dem ist nicht mehr hinzuzufügen. Coole Nummer!
Später enterten dann A Life Divided, die wir ganz lange nicht live gesehen hatten, die Amphibühne. Im Hintergrund ließ auf einer Leinwand ein Video mit und im Vordergrund hatten die harten Rocker Aufstellung genommen, wo sie von den Zuschauern bejubelt wurden. Sonnenbrillen waren an diesem Tag ein echtes Muss, denn die Sonne ließ einfach nicht nach. Laute Gitarren, wilde Drums und guter Gesang – das macht die Musik der Band aus. „Herzlich Willkommen NCN“, so die ersten Worte von Frontmann Jürgen, der gut drauf war. „Hello Emptiness“ wurde mit viel Gefühl vorgetragen, auch wenn die Gitarristen Tobi, Tony und Erik für einen rockigen Sounds sorgten. Der Sänger stand kaum einen Moment still und lief auf der Bühne beim Singen hin und her. Dass sie Bock hatten auf diesen Gig, war ihnen absolut anzumerken und diese Spielfreude sprang sofort auf das Publikum über. So posierte Jürgen auch für die zahlreichen Fotografen – das macht eben einen Profi aus. Dazu passte dann auch das Stück „Best time“ – für die Zuschauer und die Band war dieser Auftritt an diesem Tag auf dem NCN absolut eine super gemeinsame Zeit – was wollten wir alle auch mehr?! Haare flogen, es wurde abgerockt und getanzt und die Band grinste nur so wegen dieser Partystimmung. Und spätestens als dann auch noch das Alphaville-Cover „Sounds like a melody“ angestimmt wurde, war der Höhepunkt erreicht. Gut gemacht.
Eigentlich hätten die Bloodsucking Zombies From Outer Space schon viel früher auf der Waldbühne spielen sollen, aber es gab Probleme mit den Generatoren, die für die Stromversorgung des Areals der Stage verantwortlich waren. Als diese dann nach einigem Hin und Her repariert werden konnten, konnte auch dieser Gig dann endlich stattfinden. Die Band wurde mit „es wird Rock’n’Roll“ angekündigt und dann kamen die Wiener Zombies endlich zum Zug. „Einen wunderschönen guten Nachmittag“, so die begrüßenden Worte von Sänger Dead Richy. Los ging es mit „This ain’t no Halloween costume“, wo das Mitsingen noch nicht so recht klappte. Aber einige Fans ließen sich vom ersten Ton an mitreißen und eröffneten einen kleinen Moshpit in den ersten Reihen. Die Band heizte mit ihren Horrorpunk-Rock’n’Roll-Klängen und „Shockrock romance“ mächtig ein und riss so einige aus ihrem nachmittäglichen Tief. Es wurde getanzt, so dass eine Staubwolke über den Menschen entstand, und ein Fan freute sich über die Reitgerte, die Richy nach einem der Songs in die Menge warf. Der E-Bass von Dejan sah wirklich sehr cool – in der Form einer Fledermaus. Als dann auch noch eine „tote alte Freundin“, ein Wolfsbaby und ein Werwolf auf der Bühne zu „Nice day for an exorcism“ auftauchten, war allen klar – dieser Auftritt war mal etwas ganz anderes. Und das ist durchaus im positiven Sinne gemeint. Es war auf und vor der Stage wild und ausgelassen. Das gefiel den Musikern und es war ihnen ein Bedürfnis, zu verkünden, dass sie, auch im Hinblick auf ihre eigene Regierung in Österreich und die vergangenen Landtagswahlen in Sachsen, gegen Rechts seien – „keinen Millimeter den Nazis“. Das sorgte für Jubel und weiter ging es mit Musik – wie etwas das Billy Idol-Cover „Dancing with myself“. Es war wild und großartig – wir hätten gern mehr solche Formationen bei der Nocturnal Culture Night – vielleicht lässt sich da was machen.
Die Parkbühne hatte dann Bragolin in petto. Das „zeitgenössische Postpunk-Projekt“aus den Niederlanden wurde von vielen Zuschauern erwartet und so waren allen gespannt, als Edwin und sein Mitmusiker mit „Take us down“ loslegten. Die Stimme von Edwin war anfangs etwas sehr leise und so leider kaum zu hören, doch allmählich wurde es besser. Der Soundmann hat hier ganze Arbeit geleistet. Der Sänger griff gut in die Saiten seiner Gitarre, die er sehr hoch umgeschnallt hatte, aber jeder Gitarrist hat ja so seine eigene Art und Weise, wie er oder sie dem Instrument Klänge entlockt. Weitere Songs waren „No one ever speaks in this house“ oder “I saw nothing good so I left”. Die Fans feierten jedes einzelne Stück ab und bewegten sich zu den Rhythmen mit.
Wir mussten uns an dieser Stelle aber erstmal etwas zu Essen suchen – diese Hitze und das viele Feiern hatten uns ganz schön geschlaucht. So gestärkt ging es dann zu einem absoluten Highlight. Die Amphibühne lud zum Gig der Ausnahmekünstlerin Eivør. Vor der Bühne war es richtig voll und alle waren absolut gespannt auf das, was nun kommen mochte. Die Sängerin, die von den Färöer Inseln stammt, kam in einem tollen Outfit, das fast durchsichtig war, nach vorn und Jubel brandete auf. Nur mit Klavier begleitet legte sie mit „Ein klóta“ los – WOW – diese Stimme war wie aus einer anderen Welt und mit Abstand die beste Stimme des ganzen Festivals. Von ganz hoch bis wahnsinnig tief war alles drin – grandios. Die Sängerin bedankte sich für den tollen Empfang mit einem Lächeln und Kusshänden. Sie tanzte zu den eigenen Klängen und zeigte, dass sie verschiedene Musikstile beherrschte – mal mit elektronischen Beats, dann fast poppig und dann wieder in Richtung Nordic Folk mit einer großen Rahmentrommel in der Hand – es wurde nie langweilig. Und alles wurde getragen von ihren absoluten Ausnahme-Stimme, mit der sie auch mal nur sonderbare Geräusche erzeugte oder ins Mikrofon hauchte, um den Liedern eine bestimmte Stimmung zu verleihen. Es klang zum Teil wie eine Symbiose aus Kate Bush und Björk. Dazu noch ihre Gestik und Mimik, die zum Teil an eine irre Schamanin erinnerte, sorgten für viele Gänsehautmomente. Das war so anders und so wunderschön. Nicht wenige der Zuschauer hatten Tränen in den Augen, weil es einfach nur schön war.Auch hier bekamen wir eine Mixtur aus sehr alten Stücken wie „Skyscrapers“ und neueren Sounds wie „Enn“ geboten.„It’s so good to see you all.“ Die Lichtshow war dann noch der letzte Punkt auf dem i – die Sängerin und ihre Musikerkollegen an Drums, Technik, E-Cello und Klavier wurden toll in Szene gesetzt – es war ein großartiges Gesamtkunstwerk, das ihr sicher viele neue Fans eingebracht hat. Am Ende bedankte sich Veranstalter Holger dafür, dass das Publikum diesen Gig so gut angenommen hat, denn es war ein Versuch, da Eivør im Programm des NCN eine ganz neue Facette darbot. Das war mehr als gelungen! Danke Holger – es war MEGA!
In eine ganz andere Richtung ging es hiernach mit Hocico aus Mexiko, auch wenn wir fast noch nicht wieder bereit waren für etwas anderes – wir mussten fast noch das soeben Erlebte verarbeiten. Dennoch rissen uns Erk und sein Kollege Racso schnell mit. Der Frontmann sah toll aus mit dem Federschmuck auf den Schultern und damit sprang gewohnt flott auf der Bühne umher und feuerte sein Publikum an, es ihm gleich zu tun. Racso trug ein Tuch vor Nase und Mund und stand hinter seinem Keyboard fast nur still da – lediglich ein leichtes Mitwippen war zu sehen. In den Reihen vor der Stage war umso mehr Bewegung, denn Tracks wie „A symphony of rage“ oder der Hit „Bite me“ ließen die Tanzbeine zucken. Der fette Bass und die anderen Beats kamen gut rüber und so wurde es schnell zu einer ausgelassenen Party. Immer wieder war der Sänger am vorderen Bühnenrand, wobei er die Textzeilen nur so rausbrüllte. Er war wild drauf und einmal stieß er seinen Mikrofonständer um, so dass einer der Schädel, die daran befestigt waren, zerbarst. Es wurde aber niemand dabei verletzt – außer eben dieser besagte Schädel. Die Lichtshow, in Verbindung mit dem Bühnennebel, war auch hier sehr toll. Die Fans hatten die Arme immer wieder in der Höhe und ließen diesen Hexenkessel kochen – absolut souverän und gekonnt, was das Duo hier als Headliner auf der Waldbühne ablieferte. Da gab es nichts zu meckern.
Den Abschluss des Tages bildete dann IAMX auf der Amphibühne als Headliner. Anne versprach ein „multimediales Spektakel“ und wir waren alle gespannt. Es waren zwei große Leinwände links und rechts aufgestellt worden und dazwischen die Instrumente und die Technik, die die Band brauchte, um die Klangwelten zu erzeugen. Wieder waren die Reihen vor der Bühne bis auf den letzten Platz gefüllt und dann kamen Mastermind Chris und seine Kollegen nach vorn – der Jubel war riesig. Mit seinem extravaganten Outfit sorgte er für Begeisterung – der Kopfschmuck sah aus wie aus einem Guillermo del Toro-Film, während seine durchsichtige Strumpfhose, das Jacket und die schwarzen Lederhandschuhe ein besonderes Gesamtensemble bildeten. Das war schon einzigartig. Musikalisch hatte der amerikanische Künstler Tracks wie „Disciple“, „The X ID“ oder „After every party I die“ vorbereitet. Mal war seine Stimme dabei verzerrt und dann wieder klar und toll. Der mehrstimmige Gesang, zusammen mit seiner Kollegin am Keyboard, war hier ein besonderer Trommelfellschmeichler. Er selbst drehte immer wieder an Knöpfchen oder Reglern und erzeugte so immer neue Soundeffekte. Die Beats waren wild und hart und dröhnten aus den Boxen. Die Stimmung war absolut super und überall waren tanzende Menschen zu sehen – auch Chris selbst tanzte ausgelassen. Er kam auch mal an den Bühnenrand und ging auf Tuchfühlung mit den Fans in den ersten Reihen. Auf den Leinwänden waren Videos zu den Songs zu sehen – es war wirklich ein Gesamtkunstwerk.
Wir waren aber müde und machten uns dann auf den Heimweg – mit den Klängen von „I come with knives“ in den Ohren. Das Mitternachtsspecial, wo GULVØSS als Ersatz für Art of Noise eingesprungen waren, bekamen wir so leider nicht mehr mit. Aber diese Hitze hatte uns echt geschafft. Und ein Tag Festival lag ja immer noch vor uns.
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Autor: Trixi