Festivalbericht - WGT 2024 - Samstag

Frisch gestärkt machten wir uns am WGT-Samstag auf den Weg in den Clara-Zetkin-Park, denn das Steampunk-Picknick, das in diesem Jahr sein 10. Jubiläum feierte, lud an einer neuen Location ein zum Verweilen. Beim Glashaus hinter der Parkbühne waren die Wiesen schon recht gut gefüllt und weil das Wetter immer besser mitspielte, wurden es immer mehr gewandete, schöne Menschen, die hier den Nachmittag genossen. Wer im Besitz eines Zeitreisepasses war, konnte sich bei Beamten des Amts für Aetherangelegenheiten gleich drei verschiedene Zeitreisemarken oder Stempel abholen. Die zum Teil sehr aufwendigen Outfits der Picknick-Besucher waren ein echter Hingucker. Die Steampunker lassen sich immer wieder etwas Neues und Spannendes einfallen. An einer Ecke dampfte und bewegte es sich sogar – ziemlich cool. Besonders toll fanden wir einen kleinen Jungen, der in einem Tretauto herumfuhr – sein Outfit entstammte den 1920ern und auch der Wagen musste wohl aus dieser Zeit entsprungen sein – absolut herzlich. Wir flanierten zwischen all den Szenerien umher und trafen einige lang vermisste Freunde – schließlich hat das WGT ja auch das Wort Treffen im Namen - das gehört eben dazu! Uns gefiel die neue Location des Steampunk-Picknick um einiges besser, denn hier war viel mehr Platz für all diese schönen Menschen. Einzig die „Zaungäste“, die immer wieder ungefragt Fotos von allem und jedem machten nervten ein wenig, aber nach einem freundlichen Hinweis ließen die meisten wenigstens ab.


Als die Zeit dann ran war, zogen wir los, um die ersten Konzerte des Tages miterleben zu können. Dieses Mal führte uns der Weg in den Felsenkeller, wo wir noch eine kurze Weile in der langen Schlange auf den Einlass warten mussten. Der ging dann aber recht flott und wir suchten uns einen guten Platz im Saal drinnen, bevor es mit der ersten Formation des Tages losgehen sollte. Other Day nennen ihre Musik selbst Neue Deutsche Todeskunst – wir hatten die Band noch nie live gesehen und waren sehr gespannt. Im Hintergrund standen mehrere leuchtende Bäumchen. Zuerst betraten Cellistin Niha Céta und Gitarrist Uwe die Bühne. Dazu gesellte sich die Bauchtänzerin Leocadia Lacroix, die zum ersten Stück „Im Tanz vereint“ ihr Können zeigte. Sänger Sad stand hierbei im Hintergrund und beeindruckte mit seiner tiefen Stimme. Die Musik war recht ruhig – wir würden das Ganze als eine Mischung aus den alten Liedern von Lacrimosa und Sopor Aeternus war. Die Zuschauer wippten langsam zu den Klängen hin und her und genossen die Show. Die Outfits der Musiker waren, bis auf den Mann an der Gitarre, allesamt sehr aufwendig und toll anzusehen. Zu den weiteren Liedern kamen immer wieder andere Tänzerinnen des Bennu Project und Natalie von Emotion Muse nach vorn – in zum Teil sehr durchsichtigen Kleidern. Sie zeigten moderne Varianten eines Schleiertanzes, gemixt mit Bauchtanz-Elementen. Die Fächer und Stoffflügel leuchteten zum Teil sogar. Nach einer Weile trat Frontmann Sad dann auch an den vorderen Bühnenrand und gab „Hauch der Schatten“ oder auch „Lichthauch“ zum Besten. Dabei sang er mit viel Gefühl und geschlossenen Augen und unterstrich die Texte mit sanfter Gestik. Auch wenn die Musik nicht wirklich etwas zum Tanzen war, machte die ganze Performance optisch absolut etwas her. Das war mal was ganz anderes und wir waren echt beeindruckt. Der Beifall war am Ende frenetisch und alle auf der Stage verbeugten sich sichtlich gerührt.


Nach der Umbaupause verriet uns Moderator Oliver, dass Dorsetshire vor 32 Jahren aus der Wiege entstiegen waren und an diesem Abend beim 31. Wave-Gotik-Treffen sollte das Ganze dann live sein Ende finden. Die „letzte Fahrt“ sollte eine gute Mischung aus der Schaffenszeit der Formation bieten. Zum letzten Konzert hatte Sänger Monaco seinen Kollegen Cem am Keyboard dabei und als Duo heizten sie uns ein. Anfangs trug der Sänger noch eine Sonnenbrille, die er dann aber irgendwann ablegte. „Toll, dass wir wieder da sind – für unseren Abschied“, so seine Worte zu Beginn. Die Musik war um einiges flotter als das Vorherige und so kam bei den Beats schnell Bewegung auf bei den Fans und auch Monaco tanzte ausgelassen drauf los. Der Saal war recht voll und das gefiel dem Sänger sehr. Er hatte gute Laune und präsentierte Hits wie „Krankes Fleisch“ oder „Herzschlag“ aus dem Jahr 1992 – „das ist wirklich alt“. Mensch, besonders den letzten Klassiker hatten wir wirklich nicht mehr auf dem Schirm und feierten diesen umso mehr. Es wurde mitgeklatscht und mitgesungen. Haben wir doch alle zu diesen Tracks in den Clubs abgetanzt – das war wieder mal so eine kleine Zeitreise, ausgelöst durch die Musik. Monaco brüllte den Text zum Teil nur so raus, während Cem auf die Tasten drückte. Mit „Zeitgeber“ war auch etwas Neueres mit am Start. „Virus“ zum Beispiel hatte das Duo zuvor erst einmal live gespielt. Und selbstverständlich kam auch der große Hit „Straße der Verdammnis“ zu seinen Ehren. Dabei hatte die Party ihren Höhenpunkt erreicht. Die Arme waren oben und alle tanzten was das Zeug hält. Den Abschluss machte das The Invincible Spirit-Cover „Push“, der bei keinem ihrer Gigs fehlen durfte. Die Menge verlangte aber noch nach einer Zugabe, die sogar gewährt wurde. Das war mal ein würdiges letztes Konzert und es bleibt abzuwarten, ob dies wirklich das Ende war.


Als nächstes kam die Band, auf die wir uns hier am meisten gefreut hatten, denn Die Kammer bieten immer eine tolle Show. Das Ganze sollte hier die Live-Premiere des 5. Albums „Season V – Maybe forgotten. Maybe glorious“ sein, das erst kurz vorher erschienen war. Beim Intro kamen Matthias, Marcus, Cellistin Tabea und Bassist Bergmann nach vorn und schon erklang „My Dearie Don’t Worry“. Das Cellospiel war hier direkt ein Ohrenschmaus und Marcus‘ kräftige Stimme machte echt Spaß. Die Lichtshow war hier ebenfalls ein Hingucker – große Lichtkegel, die umher wanderten und Lichtstrahlen, die von hinten alles in Szene setzten – schön gemacht. Der Beat bei „Cold Cold Comfort“ war etwas unerwartet, aber dennoch ziemlich cool. Die beiden Sänger grinsten die ganze Zeit über und hatten sichtlich Freude an der eigenen Performance und der guten Stimmung im Saal. Die Arme der Fans waren immer wieder oben und es wurde freudig applaudiert. „Guten Abend und herzlich Willkommen“. Zwischen den Tracks erzählten die beiden Herren abwechselnd etwas über den Inhalt – so ging es in „Ignoring My Safeword“ um die „Abgründe der Psyche und rote Linien“. Das Gitarrenspiel hierbei gefiel uns besonders. Neben den neuesten Stücken gaben sie auch Tracks der älteren Alben zum Besten, wie etwa „Bedroom Wars“ – ein Lied über toxische Beziehungen „in bittersüßem 6/8-Takt“. Die Menge ließ sich auf die Musik ein und tanzte dazu, während Marcus gefühlvoll mit geschlossenen Augen sang. In „I’ve Giving up to Cry“ wird über das Abstumpfen gesungen und Matthias verriet, dass sie beide oft beim Darbieten feuchte Augen bekommen. Ein Fan hatte ihnen geschrieben, dass sie das neue Album nicht durchhören kann, ohne Rotz und Wasser zu heulen – „Was für ein Kompliment.“ Es gab aber nicht nur Tränen, denn die Geschichte zu „Fate/Illusion“ brachte uns alle zum Lachen – ein Cowboy namens Fate trifft auf Schrödingers Katze, die aus ihrer Kiste ausgebrochen war und er fragt dann, ob sie wirklich lebe, doch das sei nach Aussage der Katze nur eine Illusion. Wie kam Matthias nur auf diese Interpretation? Das Lied jedenfalls wurde vom Publikum mitgeklatscht und abgefeiert. Die Herren verausgabten sich allesamt – so spielte Marcus auch mal auf den Knien. Es ging noch eine Weile so weiter, doch leider mussten wir uns dann schon auf den Weg zur nächsten Konzertlokalität machen. Wir hatten auf jeden Fall mächtig viel Spaß und freuen uns schon auf das nächste Zusammentreffen mit Die Kammer.


Wir hatten uns aus dem reichhaltigen Angebot nun das Alte Stadtbad ausgesucht, denn hier machte Nils Keppel seine Aufwartung. Der Leipziger Musiker hatte hier sozusagen ein Heimspiel. Seine Musik wird beschrieben als eine Mixtur aus „Tristesse und Sehnsucht“. Wir würden sie in die moderne Postpunk-Ecke mit deutschen Texten verorten. Der Gig startete nach technischen Problemen mit etwas Verspätung, doch dann gaben Nils und Kollegen alles. In viel Nebel gehüllt und mit blauem Licht in Szene gesetzt, startete der Sänger mit „Benzin“. Vor der Bühne war es sehr voll und sofort bewegten sich die Zuschauer zu den Klängen mit. Nils Stimme wechselte zwischen tiefen Tönen und höheren im Refrain – das war schon eindrucksvoll. „Hallo WGT – mein Name ist Nils Keppel und das ist meine wunderbare Liveband.“ Der Bassist war sehr dünn und trug einen Minirock, was ihm gut stand. Der Sänger selbst hatte einen Anzug an und unterstrich seine Texte mit ausdrucksstarker Gestik. Er tanzte zur eigenen Musik und war vollkommen in seine Darbietung vertieft. Dabei wickelte er immer wieder das lange Mikrofonkabel um seinen Körper. Stücke wie „Kommst du zu mir in der Nacht“ oder auch „Neuschönefeld“ wurden mit viel Beifall belohnt, auch wenn die Texte zum Teil recht depressiv wirkten. Strobo-Blitze und weiße, rosafarbene oder blaue Lichtkegel unterstrichen das Ganze optisch. Uns gefiel das Ganze recht gut – wieder eine Neuentdeckung, die eben so ein Festival ausmacht.


Als Headliner sollte im Anschluss dann Mia Morgan den Abend beschließen. Wir waren auch hier sehr gespannt, kannten wir sie bisher nicht. Sie trug ein kurzes Kleid und sah sehr schick aus, als sie mit „Waveboy“ in die Vollen ging. Sie tanzte drauf los und die Fans vor der Bühne taten es ihr gleich. Dabei stand sie in einem Stern aus Licht, was wirklich schick war. Sie stand aber kaum eine Sekunde still und lief immer wieder zwischen ihren Musikern hin und her. Mal bewegte sie sich lasziv zum Text der deutschsprachigen Songs und dann wieder bestimmt und ausgelassen. Ihr Gitarrist verausgabte sich außerdem gut. Uns erinnerte der Stil ein wenig an Künstler wie Blond oder Drangsal – das gefiel uns echt. Die Stücke „Jennifer Check“ oder „Gothgirl“ – „der ist für euch“ - kamen beim Publikum gut an und die Stimmung hätte nicht besser sein können. Mia hatte sichtlich Spaß an ihrem Set und wurde für diese Spielfreude mit Jubel und Beifall belohnt. Sie verriet, dass es immer ihr Traum war, einmal beim WGT spielen zu können und an diesem Abend ist er endlich Wahrheit geworden. Bei „Gift“, ihrem ersten selbstveröffentlichten Track, sang sie einzelne Zuschauer in der ersten Reihe an und verbeugte sich am Ende ganz tief. Ihre Texte waren wirklich beeindruckend – wie zum Beispiel bei „Schönere Frauen“, wo sie den Schönheitswahn und Operationen anprangerte. Es war ihr auch ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass sie in der „schwarzen Szene“ vor allem die Toleranz und Offenheit bewundere und hofft, dass wir uns alle dies bewahren und vor allem entsprechend wählen gehen. Dafür erhielt sie viel Applaus.


Mit diesem Appell in den Ohren zogen wir uns dann aber langsam zurück, denn der Tag war lang und wir so langsam müde. Also überließen wir es den Fans mit Mia zu Ende zu feiern und wuselten davon, um unsere müden Glieder zur Nachtruhe zu betten.


Weiter zu Tag 3


Autor: Trixi


Galerien des Festivals