Lange Nacht der Phantastik - 27.04.2023 - Anker Leipzig

Nachdem ich ja auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse wieder die Verleihung des Seraph-Preises miterlebt hatte, musste ich dieses Mal dann aber auch der Langen Nacht der Phantastik der Phantastischen Akademie e.V. am Abend des 27.04.2023 im Anker in Leipzig einen Besuch abstatten. Neben den Gewinnern des Seraph war das Angebot einfach zu verlockend, aber eins nach dem anderen. Meine Mitfahrer und ich kamen rechtzeitig an der Location an und uns empfing schon eine lange Schlange an Besuchern, die nur noch auf den Einlass warteten.


Dann ging es endlich hinein. Vielen Dank an dieser Stelle an die Veranstalter, die mir einen Platz in den ersten Reihen mit reserviert hatten. So hatte ich einen guten Blick auf das Geschehen und konnte einige, hoffentlich schöne, Schnappschüsse für euch einfangen. Die Plätze vor der Bühne füllten sich schnell und dann begrüßten uns auch schon Oliver Graute und Natalja Schmidt von der Akademie zur „Langen Nacht des Desserts“. Diese Lesung stelle sozusagen das Dessert eines langen Tages voller Phantastik dar, die alle Verantwortlichen, einer Küchencrew gleich, für das Publikum bereitet hätten. Zum ersten Mal würde diese Lesenacht nun mit Livemusik und internationalen Künstlern stattfinden, was die beiden Moderatoren sichtlich freute.


Mit noch einem Dank an den Anker ging es direkt in die Vollen – der Gewinner des „Bester Independent-Titel“ Christopher Abendroth, der seinen „nachdenklich machenden kurzen Roman“ „Der salzige Geschmack unserer Freiheit“ dabei hatte, betrat das Podium und wurde mit Applaus begrüßt. Er verriet, dass er seit 30 Jahren Geschichten schreibt, aber eben erst jetzt einen Roman veröffentlicht hat. In dem Werk geht es um genetisch konstruierte Tiermenschen, die industriell als Sklaven hergestellt und verkauft werden. Wir begleiteten in einer vorgelesenen Szene den Titelhelden David Blake, ein „erfolgreicher Fantasyautor“, dabei, wie er sich einen so genannten Morph kaufen wolle – aber nicht aus den Gründen wie all die anderen Käufer. Er hatte Mitleid mit den Geschöpfen und wollte eine „ungebrochene und unerzogene“ Leopardenfrau kaufen, die noch zu kämpfen wusste. Sein Ansinnen war es, Toleranz für die Morphs zu schaffen und eben diese sollte ihm dabei behilflich sein. Er findet schließlich Ashari und nimmt sie mit. Das Bestrafungshalsband, das normalerweise der „Meister“ bedienen kann, nimmt er ihr ab, denn „Willkür macht Angst“ und das möchte er vermeiden. Nach einigen Mikrofon-Problemen am Stehpult, nahm er dann schließlich in einem der bequemen Lesesessel Platz und fuhr noch ein wenig fort. Die Schreibweise war sehr bildhaft und so waren wir schnell mitten im Geschehen. Leider konnte David nicht alle Wünsche von Ashari nach Freiheit und Bergen erfüllen, aber er versprach ihr, dass sie dies alles gemeinsam erleben könnten, wenn sie zusammenarbeiten. Wie und ob das dann aber klappt, blieb offen, denn schnell war die Lesezeit von Christopher vorbei. Mir hat es gut gefallen. Der Vortrag war super und machte neugierig – Danke und weiter so, Herr Abendroth.


Dem folgte nun endlich der erste Beitrag der Band, „die Literatur und Kultur zusammenbringt“. Die Rede war selbstverständlich von den Herren von Janus, die hier zu viert angereist waren. Tobi verschwand direkt hinter dem riesigen Flügel, Cellist Martin und Bläser Daniel nahmen ebenfalls Platz und dann kam auch Sänger Rig nach vorn. Seine Stimme nahm sogleich den ganzen Saal für sich ein – einfach beeindruckend – vor allem, wenn er vom „Fluch des Albatros“ sang. Und auch wenn er sein Hemd vergessen hatte, sahen sie alle vier wirklich schnieke aus. Oliver Graute stand am Bühnenrand und lauschte der Darbietung genauso gebannt und lächelnd wie alle anderen Anwesenden. Der Sound war wahrlich ein Ohrenschmaus und die Instrumentalisten gaben alles für uns.


Nach einem sehr langen Stück – „dieses Lied war länger als manche Einsendung für den Seraph dieses Jahr“, so Natalja – ging es dann weiter im literarischen Reigen. Nun war es an Theresa Hannig ihr Werk für das diesjährig „Beste Buch“ vorzustellen. Sie kann durch diesen Sieg nun beide Seraph-Figuren ihr eigen nennen, denn seit diesem Jahr hat sich die Statue durch ein Makeover ein wenig verändert. „Welche ist cooler?“ Das stellt sich noch heraus. Zuerst einmal machte sie ein Bild von ihrem Publikum – eine kleine eigene Tradition – „Ihr seid der Hammer“. Und dann nahm sie uns mit in die Welt von „Pantopia“. Sie stand auch an dem Lesepult und war so leider kaum noch zu sehen. Aber es ging ja auch ums Zuhören. Wir trafen die zwei Softwareentwickler Henry und Patricia, die in ihrem Programm scheinbar einen „Bug“ hatten, der sich dann aber über kurz oder lang als Künstliche Intelligenz herausstellt und sich Einbug nennt. Einbug übernimmt nach und nach immer mehr die Aufgaben als Arche von Pantopia – er strebt den perfekten Kapitalismus, genauer das Ziel NULL oder den maximalen Gewinn an. Die Leseweise von Theresa war wirklich toll – leider können das nicht alle Autoren so gut, doch an diesem Abend sollte uns keiner der Vortragenden enttäuschen. Die szenische Lesung, die keine direkten Szenen aus dem Buch waren, kamen super an. Einbug entstand durch einen Fehler im Code des Trading-Programm der beiden Programmierer und wehrt sich gegen Löschversuche – „bitte hören Sie auf in meinen Code einzugreifen“. Die KI ist dabei echt ungewollt komisch und ich musste immer mal kichern. Durch dieses Wirken werden Patricia und Henry entlassen, sie können Einbug aber retten und fliehen mit ihm – mit einem Cliffhanger endete der kleine Einblick. Und wie geht es nun weiter? Tja, da müssen wir alle wohl doch zum Buch greifen. Gut gemacht und nochmal Glückwunsch zum Gewinn, Theresa.


Nach einem Dank an alle Unterstützer und Sponsoren der Phantastischen Akademie e.V. – ihr könnt da übrigens auch mitmachen als Supporter – übernahm Janus wieder das Ruder. Wir hörten ein Stück, das Rig über die Franklin Expedition geschrieben hatte. Mit Inbrunst und einem irren Lachen zwischen den Strophen gab er eine großartige Performance ab und dieses Mal sang Tobi auch die zweite Stimme – klang echt gut. Wir genossen es sehr und der Beifall fiel natürlich frenetisch aus.


Danach gönnte uns Oliver eine Pause, so dass wir alle die Bar und dergleichen frequentieren konnten. Bisher war es echt klasse. Die Stimmung hätte kaum noch besser werden können – aber es steigerte sich sogar noch.


Nach dem Päuschen ging es direkt wieder in die Vollen mit Markus Heitz, der mal keine Zwerge dabei hatte. Aber „Vampire gehen immer“. Einst hatte er Kurzgeschichten geschrieben über diese Blutsauger und eine davon hatte er an diesem Abend in gewohnt unterhaltsamer Art und Weise in petto. Es ging um Vampire – „sie dachten, sie wüssten alles über sich selbst – Fehler“. In der Story traf Kellner auf die arrogante Schlampe Susanne, die von ihm dann aus der Kneipe geschmissen und schließlich von Kollegin Leonore erschossen wird. „Sie wird so sauer sein, wenn sie wieder wach wird.“ Die Zuschauer stutzten kurz, aber klar – als Vampir wacht es sich nach einer Kugel aus einer Waffe schon gern mal wieder auf. Aber nicht Susanne an diesem Tag. „Sie ist tot.“ Es waren Silberkugeln, „falls wir mal auf Werwölfe treffen“ und scheinbar haben sie auch bei der Schlampe gewirkt. Das war neu. Leonore war sichtlich erstaunt und gleichzeitig interessiert, denn wie es sich herausstellte, ist wohl jeder Vampir anders und „Kreuze funktionieren bei mir nicht“. Das gehörte untersucht – „natürlich nicht an sich selbst“. Also besorgten sich die beiden „Versuchskaninchen“ und testeten nach und nach verschiedenste Dinge aus, die einem Vampir etwas anhaben sollten. Ich mag Meister Mahet als Vorleser ja absolut und genoss auch diese Vorstellung sehr. Und das ging nicht nur mir so. Immer wieder mussten wir über die Sprüche lachen und am Ende gab es natürlich „aus dramaturgischen Gründen“ wieder mal keine Auflösung, wie das Ganze denn enden könnte. Schade!!!


Es fehlte dann noch die dritte Seraph-Gewinnerin aus diesem Jahr. Das „Beste Debüt“ kam dieses Mal aus der Feder von Lucia Herbst und heißt „Medusa: Verdammt lebendig“. Sie nahm in einem der Lesesessel Platz und trug zuerst einmal den Prolog des Romans vor, denn der „erklärt einiges“. Wir lernten so die Geschichte der antiken Medusa kennen, die ihre Reinheit angeblich beschmutzt hat und deswegen von Göttin Athene bestraft und zu dem uns bekannten Monster gemacht wurde, mit den Schlangen auf dem Kopf und dem versteinernden Blick. Angeblich wurde sie auch von Perseus getötet. Doch in Wahrheit war es so, dass ein Verbrechen an ihr begangen wurde, in dem Poseidon sie schändete und außerdem ist sie gar nicht tot. Ihr Lebensfaden ist keinesfalls durchschnitten, wie die Moiren bekanntgaben. Dann ging es weiter mit dem ersten Kapitel - Medusa lebt immer noch und spricht mit den Schlangen auf ihrem Kopf, von denen jeden einen eigenen Namen hat. Sie wohnt in Köln und geht dieses Mal nicht zum Karneval, wo sie sich sonst unterhindert auf offener Straße zeigen kann, sondern hält sich im Verborgenen, weil die „Götter des Olymp“ nun wissen, dass sie doch noch am Leben ist. Sie hat nämlich Poseidon vor dem internationalen Göttergericht angeklagt, an dem alle Gottheiten der Welt teilnehmen. Bei der Verhandlung schlagen sich sogar einige der Götter auf ihre Seite, leugnen die griechischen Vertreter doch immer noch das Verbrechen an ihr. Horus aus Ägypten etwa steht ihr sogar als Bodyguard zur Seite. Dort tritt sie auch das erste Mal wieder für alle „lebendig“ auf und anfangs eskaliert das Ganze auch ein wenig, weil sich ihre Schlangen nicht im Griff haben, doch wie sich die Situation auflöst – ohje, da war die Lesezeit schon um. Mist – nun will ich aber wissen, was aus Medusa wird. Mir gefiel hier, dass Monster nicht immer die Bösen sein müssen, sondern unter Umständen eben auch mal das Opfer der Geschichte sind. Toller Ansatz!


Janus hatten nun ein letztes Mal noch die Möglichkeit, sich in diesem bunt gemischten Auditorium neue Fans zu erspielen und diese Chance nutzten sie redlich. Bei „Totes Land“ gingen die Zuhörer mit – auch Herr Heitz war sichtlich angetan. Die Musik war absolut stimmungsvoll und schön. Der Hit „Flüsterer im Dunkeln“ krönte das Ganze dann zum Abschluss noch – grandios! Mal brüllte Rig den Text nur so heraus und dann säuselte er wieder sanft – gekonnt ist eben gekonnt. Natalja und Oliver meinten nach dem Beifallssturm dann nur begeistert, dass sich die Formation doch direkt mal für kommendes Jahr vormerken soll, dass sie gern zur nächsten Lesenacht auch performen könnten. Da sage ich auch nicht nein.


Das absolute Highlight des Abends war als Letztes nun noch der Auftritt des internationalen Gastes – Autor Ben Aaronovitch war hier gemeinsam mit Uve Teschner, einem deutschen Schauspieler und Synchronsprecher, angereist, um sein neuestes Buch, das tatsächlich zuerst auf Deutsch erscheint, vorzustellen. „Die in UK dürfen es noch gar nicht lesen.“ Das war etwas Besonderes. In dem neuen Werk geht es um seine bekannte Figur Peter Grant, die in den USA landet und dort ermitteln mag. Uve las vor und seine Stimme war echt angenehm. Auch Ben, der in dem Lesesessel fast versank, lauschte gespannt. Peter wurde zu einem Special Agent, der sich im so etwas wie X-Files kümmert. Die kleine Episode gab dazu einen kleinen Einblick und machte schon Lust auf mehr. Dann ging das Duo dazu über, eine Art Frage-Antwort-Spiel zu betreiben. So erfuhren wir z.B. wie der britische Autor seine „Orte des Geschehens“ findet. In diesem Fall war es wohl einst ein Computergame, ein sehr altes, textbasiertes. Und dann nutzt er Tricks, um nicht immer alles genau beschreiben zu müssen – am einfachsten ist etwa „cover it in snow“, gewusst wie. Die Figur Kimberley, die auch in diesem neuen Buch „Die schlafenden Geister des Lake Superior“ Bestandteil ist, tauchte ja schon früher einmal auf. Als sie das erste Mal in einem seiner Werke präsent war, war Ben es noch nicht klar, dass da mal ein ganzes Buch draus wird. Er hat immer wieder Spaß daran, Sachen, Personen oder sonstiges herauszupicken und dann zu entwickeln. Mit einem kleinen Diskurs durch seine Charaktererstellung machte er sich den einen oder anderen Fan glücklich. Er verglich das Ganze mit einem Puzzle und machte immer wieder kleine Späßchen über Settings. So könnte er sich etwa vorstellen, einmal einen Roman am Frankfurter Flughafen spielen zu lassen, denn der ist sooo groß, dass eine ganze Fantasy-Novelle da Platz hätte und in der Mitte ist bestimmt irgendwo Mordor. Dann kam die Frage auf, ob es denn schwer sei, Figuren in Dialekten sprechen zu lassen. Nein, gar nicht – „you only need the rhythm“. Er macht sich da echt einen Spaß draus. Ben war absolut sympathisch und erzählte davon, dass er fast nur bei sich daheim drin sitzt und schreibt – „I was six months in lockdown since I noticed“. Ob es denn Pläne gäbe, seine Geschichten einmal zu verfilmen? Gerüchte gibt es ja immer wieder – Ja, schon, aber die von ihm nicht sonderlich geschätzten TV-Bosse würden alles nur verändern wollen und machten es dabei sauteuer. Es sei eben nicht so billig den Covent Garden in London in die Luft zu sprengen. Und außerdem mag er es nicht, die Kontrolle aus der Hand zu geben und schon deshalb scheitert das bisher. Aber er arbeitet an einem Rollenspiel. Nach einer weiteren kurzen Szene aus dem neuen Buch, wo „viel geschossen“ wird, war der Abend auch schon wieder vorbei. Die Menge klatschte noch einmal laut und frenetisch und alle bedankten sich mit einem Winken.


Am Ende wurde der Büchertisch noch einmal gestürmt und gefühlt instant leer gekauft – so muss das sein. Danke an dieser Stelle noch einmal für den Einsatz von Oliver, der mir das Autogramm von Ben für meine Schwester besorgt hat – sie hat sich echt ein Bein abgefreut. Es war sehr spät geworden, aber das hat sich sowas von gelohnt. Diese lange Lesenacht der Phantastischen Akademie e.V. war ohne Übertreibung etwas ganz Spezielles und das meine ich im uneingeschränkten positiven Sinne. Jede*r der da nicht dabei war, hat etwas verpasst. Ich werde diese Veranstaltung nun immer auf meinen Plan für die Buchmesse-Woche in Leipzig setzen. Müde und zufrieden machte ich mich dann auf den Heimweg.


Autor: Trixi


Galerie des Abends