Ein phantastischer (Lese)Abend 2023 - 28.04.2023 - Pappnoptikum Leipzig

Die Woche zur Leipziger Buchmesse bot neben all den Veranstaltungen auf der Messe selbst auch noch zahllose Events und Lesungen überall in der gesamten Stadt Leipzig. Und aus diesem mehr oder weniger Überangebot hab ich mir auch am Abend des 28.04.2023 – Messe-Freitag – herausgepickt. Die Wahl fiel auf den Phantastischen (Lese)Abend in den Räumen des Mytholon / Pappnoptikum Leipzig. Das Ganze wurde veranstaltet von den Verlagen Edition Roter Drache und Lysandra Books. Ich kam ein wenig vorher an und konnte so noch einen Schwatz mit einigen Anwesenden halten. Und dann ging es auch schon bald los.


Unsere Billie hatte die Rolle der Moderatorin des Abends übernommen und begrüßte mit lieben Worten alle Zuschauer, die meiner Meinung nach etwas zahlreicher hätten ausfallen können, denn alle, die ihr nicht da wart – ihr habt was verpasst, aber lest selbst. Den Anfang machte die wunderbare Luci van Org, die eine kleine musikalische Lesung vorbereitet hatte. Dieses Mal hatte sie ihr Werk „Vagina Dentata“ im Gepäck, das „sträflich vernachlässigt“ wurde durch die Pandemie – ist das Buch doch bereits schon 2019 erschienen. Luci nennt den Roman ein „feministisches Phantastikbuch“, das komplett in gendergerechter Sprache verfasst wurde, ohne dass es damals eine Notwendigkeit dazu gegeben hätte. Mit dem Vortrag des ersten Kapitels nahm sie uns mit auf die Reise zu den Göttern. Zuerst trafen wir auf den Allvater Odin und Frigg, zwei nordische Gottheiten, die darüber diskutierten, dass etwas „unausweichlich Unangenehmes“ geschehen sei. 19 Stunden zuvor war ein Fluch aufgehoben worden, der auf allen Frauen in allen Welten lag und nun hatten die Damen ihr „Gebiss“ wieder. Damit waren aber nicht die Zähne im Mund gemeint, sondern „da, wo es ihnen am meisten nützte“ – zwischen den Schenkeln. Lucis Leseweise mit verschiedenen Stimmen und Akzenten für die einzelnen Figuren war wie immer eine wahre Freude und so gab es auch hier den einen oder anderen Lacher zwischendurch. Weil der Fluch nun endete, ist der Mann wieder einmal der „viel verletzlichere Teil der Menschheit“, weil der weibliche Teil der Zivilisationen wieder die Macht innehabe. Das passt den Männern natürlich nicht und sie finden das alles „total ungerecht“.

Passend zu diesem Buch präsentierte uns die Autorin dann auch ihr „ganz persönliches feministisches Manifest“ in Form des Liedes „Mein Wille“ von ihrem aktuellen musikalischen Projekt Lucina Soteira. Mit der Gitarre auf den Knien schmetterte sie so laut los, dass es auch kein Mikrofon gebraucht hätte – mit viel Kraft und Gefühl gab sie alles. Absolut beeindruckend!

Nach einem lauten Beifall ging es schließlich weiter mit dem Roman. Göttin Frigg wüsste ja, wie der Fluch eventuell wieder in Kraft treten könnte, sie möchte aber, dass die Männer den Frauen für 4000 Jahre einmal all das zutrauen und ihnen vertrauen, was sie für sich in den vergangenen 6000 Jahren eingefordert hatten. Natürlich sagen das die Herren sofort zu und versuchen das schnell in die Wege zu leiten. Dafür reist Odin mit einem Trupp nach Berlin – blöderweise entspricht er dem aktuellen Schönheitsideal des Mannes nicht – ohne Bart ist in. Und so geht es ohne Bart ab in eine Selbsthilfegruppe maskulinistischer Männer – das Kapitel „Volkshochschule“ war echt zum kaputtlachen – vor allem so, wie Luci es darbot. Die Mitglieder des „Tribe of wild brothers – der Rückzugsort aller unterdrückter Männer“ sitzen im Kreis und meditieren – „Ich bin schön“, „Ich bin göttlich“ – und beten kleine Penis-mit-Hoden-Figuren an. Wir haben uns über diese esoterischen Exkurs enttäuschter Männer echt amüsiert und der Applaus fiel am Ende sehr laut aus. Die Zuhörer hatten nun echt Lust zu erfahren, wie es denn weitergeht mit dem Fluch und einige stürmten im Anschluss den Büchertisch, der im Hintergrund aufgebaut worden war. Danke liebe Luci – es war wie immer eine Freude und auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen!


Nach einer kurzen Pause ging es schließlich weiter mit Heike Schrapper, die nach Ankündigung von Billie ein „Märchen für Erwachsene über mentale Gesundheit“ in petto hatte. In „Der Prinz und sein Monster“ geht es nicht konkret um mentale Gesundheit, so Heike, jeder könne dahin das deuten, was ihm oder ihr am ehesten passen möge. Die Autorin hatte aber nicht nur ihr Buch dabei, sondern auch alle Illustrationen aus dem Werk in Großformat, die sie beim Lesen dann immer entsprechend umblätterte. So hatten wir praktisch das Komplett-Vergnügen für dieses Büchlein. Wir lernten also so den Prinzen kennen, der eines Tages mit einem ekligen Monster auf seinem Rücken aufwacht – halb Wolf, halb Affe. Dieses Wesen stinkt und ist sehr schwer und macht, dass er nicht mehr so gut laufen oder aufstehen kann und den Appetit und die Lebenslust verdirbt es ihm auch. Das Schlimmste aber ist, dass nur der Prinz selbst das Monster sehen und spüren oder gar anfassen konnte. Er kann es aber auch nicht abschütteln. Er weiß nicht, warum dieses Ding auf einmal da ist. Der Leibarzt des Königs kann ihm nicht helfen – sieht er das Monster ja auch nicht. Und so kommt es, dass sowohl der Leibarzt als auch die Eltern und Geschwister des Prinzen ihn nach und nach meiden, weil sie denken, dass er sich das alles nur ausdenkt und den Verstand verliert. Sie haben Mitleid mit ihm, aber „Mitleid ohne Verständnis“ bringt leider gar nichts. Die Bilder zu dem Vorgetragenen lassen die Situation des kleinen Prinzen gut nachfühlen. Durch Zufall hört der Prinz von einem Schmied in einem fernen Dorf, der genauso ein Problem gehabt haben soll und der es besiegen konnte. Das lässt in ihm die Hoffnung keimen. So macht er sich heimlich auf eine lange und beschwerliche Reise, die durch das Monster fast unerträglich wird. Fast stirbt er bei dem Versuch, den Schmied ausfindig zu machen. Unterwegs bekommt er Hilfe von einem kleinen Mädchen, die sehr verständnisvoll mit ihm umgeht, was das Monster etwas schrumpfen lässt und so kommt er weiter voran. Endlich beim Schmied angekommen ist dieser der erste andere Mensch, der sein Monster sehen und sogar berühren kann. Er verrät dem Prinzen: „Ich bin meins nicht losgeworden und du wirst deines nicht loswerden.“ Aber er verspricht ihm, wie der Prinz vom Sklaven zum Meister dieses Wesens werden kann. Das macht dem Monster Angst und es faucht. Damit war das Buch aber auch schon zu Ende – somit ließ Heike uns und auch den Leser an sich damit im Unklaren, ob es dem Prinzen denn gelingen kann, sein Monster in die Schranken zu weisen. Aber hoffnungsvoll klang der Schluss auf jeden Fall. Der Vortrag erhielt selbstverständlich auch einen frenetischen Applaus, was ihr sichtlich gefiel. Ich fand es toll, dass es auch über solche Themen Bücher gibt und die Art und Weise der Verarbeitung war mal etwas ganz anderes. Gut gemacht!


Wieder gönnten wir uns alle eine kleine Plauder-, Getränke- und Pipi-Pause, bis dann Ulf Fildebrandt auf dem tollen Lesethron Platz nahm. In seinem Roman „Echos der Zukunft“ geht es um ein Universum, in dem acht Welten um einen Kern kreisen. Zu jeder der Welten gibt es ein Buch und dieses ist nun Band 3 seiner Weltenkreis-Reihe, das ganz frisch erschienen ist. Es gibt außerdem Magie und Zauber. Diese Magie beruht auf Erinnerungen und je stärker die Erinnerung umso kraftvoller der damit gewirkte Zauber. Gute Magier lassen sich die Erinnerungen dafür schenken, böse handhaben das etwas anders. Ulf nahm uns direkt mit ins Geschehen und so stellte er uns Seena und ihren tierischen Begleiter, einen Luchs, vor. Sie hat komische Empfindungen, die sich wie Erinnerungen anfühlen, die aber nicht ihre waren, denn diese Dinge hat sie nie erlebt. Vielleicht passieren diese Sachen erst noch in der Zukunft. Sie bekommt Angst und versucht aus der Stadt ihres Vaters, Wolantha Gort, wegzulaufen, obwohl es ihr verboten ist, diese zu verlassen. Bei ihrer Flucht muss sie durch einen kalten Fluss, um danach durch ein Gitter zu schlüpfen. Nach einigen Schwierigkeiten gelingt es ihr auch und so kann sie nun, klatschnass, weiter in Richtung des nahen Waldes flüchten, doch Reiter aus der Stadt holen sie ein. Darunter befindet sich auch ihr Vater, der sie überreden möchte, doch zu bleiben. Sie drängt aber weiter, „weil ihr schreckliche Dinge geschehen“ werden – so ihr Gefühl. Aber dennoch willigt sie letztendlich ein, doch wieder mit zurück zu kommen.

Dann stellt uns Ulf außerdem die zweite Hauptperson aus dem Buch, vor. Jordea ist ein kleiner Taschendieb, der gesucht wird und in einem Versteck in der Stadt nach Wachen Ausschau hält. Er versucht in den Palast zu gelangen, zu Seena. Doch dann entdecken ihn und seinen Freund Karl drei der Wachleute und greifen sie an. Karl unterliegt in dem Gerangel beinahe, doch dann erschafft Jordea Erinnerungen aus dem Nichts und überträgt diese auf die Wachen, die von Karl ablassen und selig vor sich hin grinsen. Karl ist erstaunt, wusste er nicht, dass sein Freund diese Art der Magie beherrscht – „Mach das nie mit mir.“ Jordea weiß schon eine Weile, dass er diese Fähigkeit hat, hat aber selbst etwas Angst davor und erhofft sich Hilfe im Palast. Ob es ihm gelingt und was es mit den Erinnerungen von Seena auf sich hat – das erfuhren wir nicht mehr, denn die Lesezeit von Ulf war schon wieder vorbei. Das Ganze klang echt spannend und macht neugierig auf mehr. Wenn ihr nun auch mehr wissen wollt – das Buch ist im Lysandra Books Verlag erschienen. Am Ende konnten wir noch ein paar Fragen stellen, die der Autor und bereitwillig beantwortete, bevor es in die letzte Pause des Abends ging.


Den Lesereigen des Abends im Pappnoptikum beschlossen dann die beiden Herren der Epic-Deathmetal-Formation Darkest Horizon – Daniel Baum und Jonas Heinzel. Der Begrüßungssatz „Wir sind das letzte heute“ sorgte für diverse Schmunzler im Publikum. Die beiden waren ein Teil der Band, „die ein Buch geschrieben hat“, das „Nadzija“ heißt. Vor ihnen stand ein Foto ihres Bandkollegen, „der leider diese Welt verlassen hat“. Sie erzählten kurz, wie es dazu gekommen war – die Arbeit an Singles für ein neues Album während der Pandemie war der Ursprung. Und nach und nach entstand daraus eben ein Roman, der dann beim Verleger Holger vom Verlag Edition Roter Drache ein „Tor in neue Kreativität“ gefunden hat. Jonas und Daniel trugen zuerst einmal den Prolog des Werkes vor, in dem alles vorkam, was eine gute Metal-Band ausmacht – brennende Klöster, Blut, Mord und Totschlag. Es begann aber in einer „viel zu friedlichen“ mittelalterlichen Welt. Wir begegneten einer Mönchs-Prozession, die zurück ins Kloster führte. Doch etwas war anders – Rauch lag in der Luft und als sie näher kamen, stand das Kloster schon zu großen Teilen in Flammen. Einer der Mönche, der „hohe Bruder“ leitete alle an, was sie zu tun hatten, um Verletzte und Gebäude zu retten. Er selbst wollte versuchen, den Abt zu retten, der noch im Scriptorium vermutet wurde. Alles brennt und es ist unerträglich heiß. Doch dann findet er den Abt erschlagen und zerfetzt vor. Alte Bücher fehlen und in der Hand des Toten befindet sich ein Stück Papier. Der hohe Bruder wird in der letzten Sekunde noch vor dem Feuer gerettet von einem Novizen. Die Trauer ist groß, denn der Abt war wie ein Vater für ihn. Das Stück Papier stellt sich als ein Teil eines Briefes heraus und das ist alles, was vom Abt geblieben ist. Das Duo verriet aber nicht, was da drin stand – wir sollten es doch lieber selbst im Buch nachschmökern. Uns würde außerdem ein „kosmischer Kampf zwischen Gut und Böse und Leben und Tod erwarten“. Na, wenn das mal nichts ist.

Die beiden Jungs erzählten uns im Anschluss, warum die Band aufgelöst wird. Das hing mit dem Selbstmord ihres Bandkollegen „Mühli“ von dem Bild zusammen. Sie absolvieren nur noch die bereits bestätigten Lesetermine als Darkest Horizon und dann war es das mit diesem Projekt. Mühli war der Hauptsongwriter und sie wollen nicht ohne ihn weitermachen. Und als Andenken an ihn, haben sie beschlossen, alle Einnahmen aus dem Buch und den Lesungen an die Deutsche Depressionshilfe zu spenden. Dafür gab es direkt einen lauten Beifall – tolle Geste!

Zum Buch verrieten uns Jonas und Daniel dann noch, dass es ganze vier Protagonisten gibt, die alle keinen konkreten Namen haben – sie haben einer Spitznamen, die Eigenschaften von ihnen bezeichnen. Wir begleiteten diese vier an einen Ort mit einem unerklärbaren Toten – eine alte Mühle in Eschborn, die es in Wirklichkeit wahrhaftig gibt. Lawine, einer der vier, der so genannt wird, weil er eine solche „fallmotorische Fähigkeit hat, Türen zu öffnen“, spürt „etwas Böses“ an diesem Ort. Der Hauptmann, der Mystiker und der Assassine spüren das nicht so und so wird diskutiert, ob sie denn in die Mühle hinein gehen sollten. War doch die Tür zuerst fest verschlossen und dann auf einmal offen. Blutige Handabdrücke und Zähne – von wem auch immer – sind neben einer Spur von der Mühle weg sind alles, was noch zu entdecken ist. Letztlich siegt der Tatendrang – „reingehen, durchsuchen und plattmachen, was wir finden“ ist der grobe Plan. Was dann genau passiert – ihr ahnt es sicher – das blieb leider offen, denn nun war das Ende des (Lese)Abends erreicht. Schnell konnte ich noch fragen, was „Nadzija“ heißt – es ist das polnische Wort für Hoffnung und das passe eben gut zu diesem Werk. Wir bedankten uns bei den Beiden mit viel Handgeklapper und so war dieser Lesung leider schon wieder vorbei.


Mit einem Dank an die Gastgeber der beiden Verlage für den schönen Abend mit vier vollkommen verschiedenen Werken verabschiedete ich mich dann auch und machte mich auf den Heimweg. Danke auch an die liebe Billie für die tolle Moderation. So wie diese Lesungen müssten alle sein – toll vorgetragen, neugierig machend und kurzweilig. Ich hatte echt Spaß und freu mich schon auf eine Wiederholung – da seid ihr dann aber auch dabei, oder?!


Autor: Trixi


Galerie des Abends