Lesung - Liebe, Erotik & Magie - 29.04.2023 - Moritzbastei Leipzig

Auch am Abend des Buchmesse-Samstag, den 29.04.2023, gab es neben der eigentlichen Messe zahlreiche Veranstaltungen über ganz Leipzig verteilt und ich habe mir wieder eine daraus erwählt. Dieses Mal zog es mich in die Moritzbastei Leipzig, wo es mit „Liebe, Erotik & Magie“ zur Sache gehen sollte. Das versprach spannend zu werden.


Nachdem ich mich bei einem leckeren Essen in der Moritzbastei etwas gestärkt hatte, nahm ich dann sehr neugierig mit all den anderen Neugierigen Platz und wartete auf das, was da kommen sollte. Auf der kleinen Bühne setzten sich schließlich David Gray, Isa Theobald und Eva Hanson an den Tisch und vor die Mikrofone.

Sie wurden mit Beifall begrüßt und schon ging es los mit dem Teil der Lesung, der unter dem Namen „Reizbezirke – Sex & Sexratgeber aus vier Jahrtausenden“ lief. Zuerst einmal stellte David sich und seine Kolleginnen vor und wies darauf hin, dass sie alle „teilkäuflich“ seien. Gemeint waren hier, dass sie alle ihre bisherigen Veröffentlichungen mitgebracht hatten und, wer wollte, diese auch käuflich erwerben konnte. Als „Motto des Abends“ wies er dann auf das Kondom hin und berichtete davon, dass der älteste gefundene Dildo der Welt 28.000 Jahre alt ist. Er und seine Mitstreiterinnen haben sich mit vielen Sexratgebern und auch pornösen Inhalten beschäftigt hatten, um diesen Vortrag gestalten zu können. Mit dem tantrischen Text „Pfeil der Lust“, in dem es darum ging, welche verschiedenen Stadien der Sex zwischen zwei Menschen haben kann. Wer hier noch Zweifel hatte, wie der Abend werden würde – da es sofort auch explizit wurde, wusste spätestens jetzt, dass dies keine Lesung für Zuhörer unter 18 Jahren war. Herr Gray offenbarte im Anschluss an diesen Eröffnungstext, dass wir alle im Publikum ihre „Versuchskaninchen“ waren, denn dies war die erste Aufführung dieses Programms – na aber gern doch. Hiernach wechselten sie das Thema hin zu Masturbation und zitierten hierzu Texte aus dem alten Ägypten. Dann ging es ins alte Rom, wo es Statuen mit Erektion gab – wir hörten Anmach-Tipps für Herren, die im Zirkus eine Dame für sich gewinnen wollten. Aus heutiger Sicht wären diese absolut übergriffig gewesen. In diesem ganzen Exkurs durfte auf keinen Fall Ovid fehlen, der neben vielen anderen Dingen auch Sextipps zu Papier brachte. Diese enthielten auch Pflegehinweise für Frauen, wenn sie noch attraktiver für ihre Männer sein wollten. Das mutete schon fast modern an. Er stellte außerdem fest, dass „reife Frauen“ die besseren seien – „das würde heute noch in der Brigitte stehen“ so Isa mit einem schelmenhaften Grinsen auf dem Gesicht. Die drei Vortragenden wechselten sich immer wieder ab beim Lesen und kommentierten das Ganze gern mit knappen und oft lustigen Kommentaren. Weiter im Text kamen sie nachkommend zum Bischof von Worms, der Anleitungen zur Befragungen in der Beichte formuliert hatte – vor allem auch konkrete Fragen zu sexuellen Vergehen – woher auch immer dieser Kirchenmann die detaillierten Infos hatte, wo er sich doch eigentlich an das Keuschheitsgelübde hätte halten sollen. Immer weiter sprang das Trio durch die Zeit in Richtung der Moderne. Und so folgten wir ihnen nach Wien, wo Prostituierte einst Glöckchen trugen, um schneller erkannt zu werden, und Kleider mit praktischen Schlitzen oder hohe Plateau-Schuhe trugen. In einem Textausschnitt hatte ein junger Lehrling Angst vor diesen Damen, da er so etwas noch nie gesehen hatte und die Damen der Obrigkeit diese Outfits dann auch gern mal nachahmten, weil sie so auch mehr beachtet wurden von den Männern. Ach und übrigens, Himmelbetten haben gar keinen romantischen Ursprung, denn der Himmel hatte früher den Zweck, dass kein Dreck oder Ratten von oben ins Bett fielen und die Vorhänge sorgten für etwas Privatsphäre, als alle in der Familie in einem Zimmer schliefen. Immer wieder wurde der Sex in der Ehe von der Kirche reguliert – so ist Sex an sich, außer zur Fortpflanzung, schlecht und Liebe ist gut – das funktionierte aber nur bedingt. Mit einem Bericht aus dem 16. Jahrhundert zeigten Eva und Isa, dass es auf einmal keine Erbsünde mehr gab. Woher auch immer dieser Sinneswandel kam. „Presse, Bücher und Sex gehören zusammen wie Küsse und Orgasmus“, so eine Erkenntnis aus der ganzen Beschäftigung mit diesen Themen. Auch die Hinwendung zur Privatsphäre und das Sex um des Sex willens vollzogen wird, veränderte den Umgang damit. So entstanden erste Pornos, was Isa mit „lass mal über den kategorischen Imperativ diskutieren“ kommentierte – dem Dirty Talk des 18. Jahrhundert. Es gab etwa Texte, die in Dialogform geschrieben waren, und sich Mann und Frau so in Stimmung bringen konnten. Diese wurde sogar in Gasthäusern laut vorgetragen. Was auch nicht fehlen durfte bei dieser Reise, war der allseits bekannte Marquis de Sade. Doch seine Ausführungen wurden von der Kirche niedergebrüllt und so gab es wieder Kampagnen gegen Pornos, gegen Prostitution und gleichgeschlechtlichen Sex. Durch das Aufkommen der Krankheit Syphilis, die viele Tausende Opfer gefordert hat, wurde das Kondom dann populär und auch dagegen hatte die Kirche etwas – niemand weiß, warum. Die ersten Verhüterlis waren nebenbei erwähnt aus Fischblasen oder Tierdärmen – klingt nicht besonders erotisch oder?! 1790 konnten diese dann bei professionellen Kondomhändlern erworben werden. In London gab es eine Art Reiseführer für Huren – recht offen. Und dann kamen die Viktorianer – „waren sie so prüde?“ Nicht wirklich. Es wurden Pornos gemacht und offen verkauft, wogegen, wieder einmal, Evangelikale in Form der Heilsarmee protestierten und den Moralverfall anprangerten. Die aufkommende Fotografie revolutionierte die Porno-Industrie. Es gab etwa „Speckbildchen“, die zum gemeinsamen Wichsen benutzt wurden und die „Autobiographie eines Flohs“, war definitiv keine Berichterstattung über kleine springende Tierchen, sondern ein absolut explizierter Porno, aus dem wir einige Auszüge hörten. Ich möchte schwören, dass nicht wenige Zuhörer rote Ohren und Wangen bekamen. In dem geschichtlichen Ritt durch die Zeit landeten wir letztendlich im 19. Jahrhundert, wo es Werbeanzeigen für Studios für „Erziehung“ gab. Das Fahrradfahren war für Frauen „very shocking“ und es wurden gepolsterte Sitze hergestellt, die verhindern sollten, dass die Damen zu sehr „stimuliert“ wurden. Im 20. Jahrhundert wurde die Entwicklung in der Beschäftigung mit Sex und mehr mit Freud immer rasanter. Es wurde immer mehr im Geist der Zeit gehandelt – wie in den 1950ern und 1960ern, wo sich Mann und Frau gern wie Dornröschen und der Prinz sahen. Hierzu gab es ein Zitat – „bitte raste nicht aus, Isa“. Die war tapfer und wetterte nicht direkt gegen diese Rollenbilder los – berechtigt wäre es aber gewesen. Oswald Kolle sorgte später mit dem Werk „Dein Mann, das unbekannte Wesen“ für Aufklärung. Petting etabliert sich in der Gesellschaft und die Frau darf auch mal „Nein“ sagen – was für eine Revolution. Wohin gegen es in den 1980ern, in der Zeit von Barbie und Ken, gang und gebe wurde, dass die Frau auch mal wieder „Ja“ sagen sollte. Nach der Zeit der Hippies mit Polyamorie wurde die Monogamie wieder en vogue und Unlust machte sich breit – „no pressure“ – die Paargemeinschaft war eben ein Fulltimejob. Routine sollte vermieden werden und der „Ungleichheit der Geschlechter als zentrales Problem“ führte zum Boom für Sexualratgeber. Jede*r beschäftigt sich eher mit sich selbst und Moral wird groß geschrieben. Und anstatt des Körpers entwickelt sich das Gehirn zum wichtigsten Sexualorgan – Vorstellung und Fantasie sind eben von Bedeutung. Und wohin führt das alles noch? Das ließen David, Eva und Isa schließlich offen, denn aufgrund des zeitlichen Rahmens an diesem Abend mussten sie schon während des Lesens immer wieder ihre Texte kürzen. Schade eigentlich, denn das alles war absolut spannend. Nun gönnten sie sich und uns allen einmal eine Verschnaufpause zum Abkühlen, aber nicht ohne einen frenetischen Applaus. Das war wirklich mal was anderes und ich hätte noch stundenlang zuhören mögen.


Nach dieser Unterbrechung kam die Autorin Romina Nikolic auf die Bühne, die einen Teil eines ihrer Langgedichte aus ihrem neu erschienenen Lyrikband vortrug. Darin verglich sie die Phasen der Liebe mit Zuständen als Maus oder Käfer oder gar Wolf. Verliebt sein hat viele Schwankungen und mir gefielen diese Gleichnisse echt gut, da sie wirklich passten. Das Ganze war nicht gereimt und der Vortrag wirklich toll. Danke! Der Beifall fiel wirklich gut aus.


Nach all diesen literarischen Exkursen konnten wir nun dem ersten Live-Podcast „Toxic Love“ beiwohnen, den David und Isa gemeinsam mit Dr. Juliane Meyer im Internet halten. Nun gab es das alles eben als Premiere auf dieser Bühne an diesem Abend. Der Podcast entstand aus Fällen aus der Praxis von Juliane, die als forensische Psychologin mit dem Ende von toxischen Beziehungen zu tun hat. Was genau eine solche Beziehung ausmacht, erklärte Frau Dr. in wenigen Worten. So ist das Ganze kein direktes Störungsbild, was Paare betrifft, auch zwischen Freunden, Kollegen und in der Familie kann es so etwas geben. Eine Form ist etwa die „emotionale Erpressung“, wenn Sprüche wie „wenn du mich liebst, dann…“ fallen. Dieses Motiv wird in zahlreichen Filmen in Hollywood „inflationär“ benutzt, was echt nicht toll ist, so Isa. Recht hat sie. Mit Eskapismus reagiert der Mensch auf Stress im Alltag – Frauen in Form von Romanen und Männer mit Pornos. Dabei kam David auf so genannte Dark Romance-Bücher zu sprechen, in den „sie nie für ihn abwaschen“ muss und er sie am Ende immer auf Händen trägt, auch wenn es zum Teil echt schräge Beziehungen sind, die da beschrieben werden – etwa zwischen bei „Shades of Grey“, wo der Typ das unschuldige Mädel mit SM verführt und sie ihn mit Liebe „heilen“ will. Das Trio hat für solche Werke den „Philipp Amthor-Test“ entwickelt – funktioniert der sexy Milliardär in dem Buch auch immer noch, wenn er das Gesicht von Amthor hätte. Diese Vorstellung sorgte für viele Lacher im Auditorium. „Wenn es ´ne Straftat ist, wenn er gut aussieht, ist es auch ´ne Straftat wenn er es nicht tut.“ Auch das Genre des FFÜ – Frau fickt Übernatürliches – fällt in diese Kategorie und so genannte „RapePorn“, in den aus Vergewaltigungen Liebesbeziehungen entstehen, werden unverständlicherweise von Frauen nahezu verschlungen. Das Ganze hat etwas damit zu tun, wie mit Scham umgegangen wird. In Vampirromanen steht das „Gebeiße“ als Synonym für Sex und aus dem Kinderschreck, der auch als Teufelsmetapher gedient hat, wird der große anbetungswürdige Typ, der uralt ist und sich an kleinen blutjungen Teeniemädchen vergreift. Heldenliteratur fasziniert zwar auch, aber als Paarmaterial sind Helden eigentlich nicht geeignet – stellen sie doch die Rettung der Welt vor die eigene Partnerin – wer will das schon. Bösewichte hingegen lassen die Welt brennen, um bei ihrer Frau zu sein – darauf stehen die Weiber. In der Welt der Bücher sind diese Formen der Beziehungen eben beliebter, was aber wohl in der Realität eben nicht wirklich empfehlenswert ist. Ach, wusstet ihr, dass die Jungfräulichkeit an sich ein Konstrukt ist und es das als solches im medizinischen Sinne gar nicht gibt? Denkt da mal drüber nach.

Um dem Ganzen am Ende des Abends auch mal einen aufbauenden Touch zu geben, nannten uns die Juliane, Isa und David literarische Werke, die anstatt sich mit toxischen Dingen zu befassen das Ganze in positiver und toleranter Art und Weise umsetzen – wie z.B. „Heartstopper“. Auch Serienempfehlungen gab es - „Sex/Life“ zeigt zwar eine toxische Beziehung, zeigt aber eine gute Umsetzung in Form des Wechsel von „Bubblegum-Ästhetik und der Realität“. In der Serie „Sex Education“ wird gezeigt, dass Probleme durch Kommunikation gelöst werden können. Es ist eigentlich ganz einfach. „Schaut euch das an“, war Isas Empfehlung.

Als allerletztes Schmankerl trugen uns Isa und David noch einen kleinen Auszug aus ihrem gemeinsamen Buch „Gebet für Miss Artemisia Jones“ vor – ein Werk über eine untote Bibliothekarin. „Blut, Gehirn, Massaker“ – alle Liebesgeschichten haben sowas. In der ausgewählten Szene gab es viele Tote in Liliths Rückzugsort, wo Azrael und die Engel Gottes gewütet haben. Lilith wurde gefangen genommen und vor Gott geführt und zur Rede gestellt. Es geht unter anderem auch über Recht und Unrecht von Sex – es macht eben nicht alle gleicher. Gott versteht das aber irgendwie nicht. Das Ganze war super amüsant und die beiden Autoren gestanden: „Wir sind kleine blasphemische Arschlöcher“. Nach einem weiteren abschließenden Text aus dem Buch war dieser Abend voller Sex, Erotik und Magie dann aber schon wieder vorüber. David verkündete noch: „Es war uns ein großartiges Vergnügen“ und dann entließen sie uns in die Nacht.


Mir persönlich hat alles an dieser Lesung gefallen – es war sexuell, geschichtlich, lyrisch, literarisch, spannend, aufklärend, witzig und einfach toll. Isa, David, Eva, Juliane und Romina haben da echt etwas Wunderbares abgeliefert. Sie kündigten, dass es der „Reizbezirke“-Vortrag in Zukunft noch des Öfteren auf die Bühnen der Republik schaffen wird. Wenn ihr also einmal die Möglichkeit dazu haben solltet, nehmt sie unbedingt wahr. Ich hatte Spaß und ihr werdet den auch haben – versprochen! Danke an alle Vortragenden – das war ganz großes Kino! Und bis zum nächsten Mal…


Autor: Trixi


Galerie des Abends