Festivalbericht - Festival-Mediaval 2023 - Sonntag

Während der Newcomeraward am Sonntag schon in vollem Gange war, kamen wir am Gelände an und besuchten auf der Schlossbühne als erstes die Band Fojgl. Die jungen Musiker des Trios präsentierten uns Klezmer, zum Teil überlieferte Stücke, zum Teil selbst geschriebene Lieder, die der Tradition dieses Genres folgen. Dies war natürlich auch an den Texten zu hören, denn die waren samt und sonders auf Jiddisch. Klezmer zeichnet sich für mich vor allem dadurch aus, dass jeder Titel ganz viel Gefühl transportiert. Das ist Fojgl sehr gut gelungen, allein durch die Musik konnten die Gäste vor der Bühne genau erkennen, ob es ein trauriges oder eher lebenslustiges Lied war. Das Ganze hatte etwas Frisches und Modernes, obwohl das Genre selbst auf eine lange Historie blicken kann. So konnten wir mit Fojgl beschwingt in den Tag starten, der uns wettermäßig auch wieder mit viel Sonne verwöhnte.


Das nächste Trio hatte danach auf der Burgbühne Platz genommen. Die drei Herren des Bel-Bachir Trios nahmen uns mit in den Orient, ihre Hauptinspiration finden die drei Musiker im marokkanischen und arabischen Folk. Vor der Bühne tanzten die Menschen und wiegten sich im Takt der Musik. Wir saßen auf der Wiese, hörten einfach nur zu und genossen das schöne Wetter. So eine Ruhepause im hektischen Festivalalltag tut nämlich auch mal gut.


Nach dieser "Pause" ging es schon wieder auf der Schlossbühne mit Hotel Palindrone aus Österreich weiter. Die Band tourt schon seit über 20 Jahren über die Folkbühnen der Welt, in Selb waren sie zum ersten Mal zu Gast. Aber scheinbar hatten diverse Besucher, im Gegensatz zu uns, schon von ihnen gehört und tanzten zu deren Musik. Uns erinnerte der Tagesauftakt an das Tanz- und Folkfest, das seit einigen Jahren Rudolstadt-Festival heißt. Dort hätten alle drei Bands, genau wie auf das FM, hervorragend hingepasst. Wir schlenderten mit den Klängen der Österreicher über den Händlermarkt, besorgten uns ein kleines Mittagessen und machten uns dann schon wieder auf den Weg nach unten.


Normalerweise eröffnen die Awardgewinner des letzten Jahres immer die Festivaltage. Im Fall von Jolly Roger, die 2022 eigens aus Großbritannien angereist und den Goldenen Zwerg mit auf die Insel nehmen konnten, verhielt sich das ein wenig anders. Die Band bekam die Möglichkeit, am frühen Nachmittag zu spielen und viele Fans erwarteten die Briten bereits vor der Burgbühne. Jolly Roger spielen eine Mischung aus Piratenrock und Punk, die junge Band ist außerdem in ihrer Heimat auch sozial engagiert. So spielten sie zum Beispiel den Titel "Band of Brothers", dessen Text von einer Tante der Sängerin geschrieben wurde und mit dem die Jolly Roger Geld für eine gemeinnützige Organisation sammelt, die Fischer vor der britischen Küste aus Seenot rettet und deren Familien unterstützt. Aber diese Ballade war nur ein kurzes Intermezzo in einer grandiosen Piratenparty. Im Publikum bildete sich recht schnell ein Flashmob aus Fans, die nach einer Choreographie tanzten. Es wurde gesprungen, mitgesungen und gejubelt, bis am Ende ein Konfettiregen auf die Menge vor der Bühne niederging. Jolly Roger bedankte sich mehrmals für die Möglichkeit auf der großen Bühne zu spielen und betonte, dass dies das erste "richtig große" Konzert der Band war, was ihnen aber gar nicht anzumerken war. Der Auftritt war grundsolide und hat super viel Spaß gemacht - danke dafür!


Ein letztes Mal an diesem Wochenende zog es uns nun noch einmal ins Literaturzelt. Dort stellten Daniel Baum und Jonas Heinzel von der Metalband Darkest Horizon ihren Roman "Nadzieja" vor. Ich hatte eine ähnliche Lesung bereits im April im Rahmen der Leipziger Buchmesse gesehen, war aber gespannt auf die Lesung in Selb. Schließlich hatten die beiden Musiker versprochen, einiges anders zu gestalten. An diesem Nachmittag begleitete Jonas seinen Kollegen Daniel auf der Gitarre, es gab also Lesung mit musikalischer Untermalung, was mir sehr gut gefiel und dem Text noch mehr Tiefe gab. Der Roman selbst entstand in der Pandemiezeit und enthält tatsächlich einen Soundtrack. Es geht mit "Nadzieja", was auf deutsch "Hoffnung" heißt, in eine dystopische Fantasywelt. Vier Söldner sollen die Ursache einer Krankheit ergründen und möglichst einen Ausweg finden. Inhaltlich will ich gar nichts weiter verraten, aber es ist mir wichtig zu sagen, dass die gesamten Erlöse aus dem Buchprojekt der Deutschen Depressionshilfe zu Gute kommen. Das Projekt ist nämlich auch ein Stück weit Heilung für die verbliebenen Bandmitglieder, deren Hauptsongschreiber Chris sich zu Beginn des Jahres 2023 entschieden hatte, diese Welt zu verlassen. Deswegen werden sich Darkest Horizon auch mit dem Jahresende offiziell auflösen und die Bandmitglieder sich anderen Projekten zuwenden.


Auf unserem Weg zum Co-Headliner auf der Burgbühne bekamen wir noch die Verleihung des Goldenen Zwergs für die Mittelalterrockfraktion mit. In diesem Jahr konnte sich die tschechische Irish Folk-Punk-Formation Foggy Dude den Award sichern und wird demzufolge im kommenden Jahr in Selb einen regulären Festivalauftritt spielen. Gut gemacht!


Vor der Burgbühne hatten sich indessen schon so ziemlich alle Festivalgäste versammelt, denn Fiddler's Green standen auf dem Plan, um den Abend auf diesem Teil des Goldbergs zu beschließen. Auch dieses Konzert war ein Besonderes, denn weil Frontmann Albi wegen einer Verletzung am Ohr fehlte, sprang Alea von Saltatio Mortis für ihn ein und übernahm die Gesangsparts. Die Erlanger Speedfolker spielten wie gewohnt ein rasantes Set mit viel Bewegung auf und vor der Bühne, Alea meisterte die Aufgabe des Sängers hervorragend - aus 'fränkischem Englisch' wurde dann eben 'SaMo-Englisch'. Und anders als Albi wirbelte Alea wie ein Derwisch über die Bühne, setzte sich für einen Track in ein Schlauchboot und ließ sich von der Menge tragen, während er Bier ausschenkte (eine Aufgabe, die sonst Paddy übernimmt). In der ersten Reihe gab es außerdem Whisky direkt aus der Flasche und viel Interaktion mit dem Publikum. Alles wie immer bei den Fiddler's, die ein Partygarant sind, also fast! Denn es war halt doch irgendwie besonders und ein würdiger Co-Headliner an diesem Festivalsonntag.


Ein letztes Mal erklommen wir den Goldberg, denn als letztes sollte es eine Art Doppelkonzert geben. Auf der Schlossbühne standen die Musiker und Musikerinnen von Estampie/Qntal, die das Abschlusskonzert in zwei Abschnitte aufgeteilt hatten. Zunächst ging es eher ruhig, klassisch und mittelalterlich mit Estampie-Stücken los, zu denen Sängerin Syrah immer eine kleine Information gab, woher die Melodien stammten. Das Instrumentarium auf der Bühne war den Liedern angepasst, am meisten beeindruckte uns die große Trommel im Hintergrund, die bei einem der Lieder zum Einsatz kam. Außerdem bekam Estampie Besuch von der Kontaktjongleurin Beatrice Baumann, die einen der Track mit ihrer Kunst untermalte. Nach über 80 Minuten Estampie wechselte die Band dann zum Qntal-Repertoire, wobei ich mir den Übergang ein wenig eher gewünscht hätte. Nun wurde es flotter, tanzbarer und vor allem elektronischer im Set. Das Publikum honorierte dies mit Beifall und konnte nun doch noch in die Nacht tanzen. Auch in diesem, für mich zu kurzen, Teil des Konzerts kam noch einmal Beatrice mit auf die Bühne - pünktlich zu meinem persönlichen Lieblingslied "Ad Mortem Festinamus" und damit dem Ende des Festivals, denn das war der letzte Track des Auftritts. Mit viel Jubel und Applaus endete also das diesjährige Festival-Mediaval, das viele Überraschungen bereitgehalten hatte. Mit guter Laune und vielen schönen Erinnerungen im Gepäck verließen wir den Goldberg und machten uns auf den Heimweg.


Abschließend möchten wir uns bei Bläcky und seinem gesamten Team bedanken - was ihr jedes Jahr auf die Beine stellt, sucht wirklich seinesgleichen. Jedes Jahr in Selb ist irgendwie neu und anders. Es gibt immer superviel zu sehen und zu entdecken, auch wenn wir immer gar nicht alles miterleben können. Überall ist euer Herzblut zu spüren und jedes Jahr kommen wir gern wieder 'nach Hause' auf den Goldberg. Im kommenden Jahr wird es sicherlich wieder genau so toll wie in den vergangenen Jahren. Doch dieses Mal steht ein Jubiläum an - das FM wird vom 06.-09.09.2024 bereits zum 15. Mal stattfinden und Bläcky hat versprochen, dass viele bekannte Bands vor Ort sein werden. Also freuen wir uns auf In Extremo, Schandmaul, Versengold, ein Jubiläumskonzert der Streuner, Lord of the Lost in der Akustikvariante, Corvus Corax und noch vieles mehr. Das Pensionszimmer ist jedenfalls schon gebucht. Bis 2024, wir sehen uns!


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Autor: Billie


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